Unser Interview fand irgendwo in Schwaben in einem Garten hinter einem Haus statt. Es war ein sonniger Tag im Juli und wir ließen uns im Schatten auf den Gartenmöbeln nieder. Zu Trinken gab es Kaffee. Für ihn war klar, dass das Interview anonym stattfinden soll, er wollte nicht, dass sein Job davon belastet würde. Ob er einen Wunschnamen als Ersatz hätte, fragte ich ihn. „Achmed“, lachte er, „Achmed ist gut. Alle heißen so“, grinste er weiter. Wir flaxten noch einen Moment herum, bevor wir zu dem Ernst des Treffens kamen.
Yannic: Warum bist Du geflüchtet?
Achmed: Weil ich sonst zum Militär hätte gehen müssen.
Yannic: Bist Du alleine geflüchtet?
Achmed: Erstmal von Syrien in die Türkei bin ich alleine gegangen. Am nächsten Tag habe ich einen jungen Mann aus meiner Stadt in Istanbul getroffen, der erfahren hat, dass ich dorthin gehe, und es hat gepasst, da er zu dem Zeitpunkt auch aus Syrien weg wollte. Wir haben dann ausgemacht, dass wir uns dort treffen und dementsprechend die Reise zusammen machen.
Yannic: Wie konntest Du das Geld für die Flucht aufbringen? Hattest Du dafür gespart?
Achmed: Wir hatten Eigentumswohnungen in Syrien und ich habe meine verkauft und das Geld genommen, um hierherzukommen. Die Kosten [der Flucht, a.d.R.], wenn Du es wissen möchtest, waren ungefähr 2.500 Dollar.
Yannic: Das heißt, Du hattest die Flucht dann schon relativ lange geplant oder war es eine spontane Entscheidung?
Achmed: Die Entscheidung wurde innerhalb von einer Woche getroffen. Ich hatte mir immer wieder Gedanken gemacht zu: ich muss aus dem Land, ich muss weg, weil in ein paar Monaten wäre ich gezwungen zum Militär zu gehen. Und deswegen machte es Sinn, wenn ich mich jetzt vorzubereiten. Und deswegen habe ich einen syrischen Pass Ende 2014 beantragt und habe den nach einem Monat gekriegt. Und im Juni 2015 habe ich über das Thema wirklich erst gesprochen mit meiner Mama und meinen Geschwistern. Und Anfang Juli habe ich eine Reise nach Istanbul gebucht. Und am 13. habe ich Abschied von der Familie genommen und bin am 14. aus Damaskus los. Weil ich habe eine Nacht bei meinem Cousin in Damaskus übernachtet.
Yannic: Wie kamst Du von Damaskus nach Istanbul?
Achmed: Mit dem Flugzeug. Wir sind allerdings in Beirut kurz umgestiegen, es war eine Umstiegszeit von dreieinhalb Stunden. Während dieser Zeit habe ich ein paar Mal darüber nachgedacht…
Das Nachbarkind samt Hund unterbracht uns kurz. Der Hund begrüßte uns herzlich. Man sah Freude in Achmeds Augen aufsteigen, er mag Haustiere, vielleicht wolle er sich auch eine Hauskatze anschaffen. Er sei am Überlegen, vielleicht warte er aber auch noch.
Achmed: Wo waren wir?
Yannic: Du hast gerade von Beirut erzählt.
Achmed: Ah ja. Ich hatte etwas Angst. Angst vor den Gedanken, dass ich jetzt weg bin. Und ich weiß nicht… und zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, ob ich meine Familie, meine Heimat wiedersehen kann und ich hatte so einen Moment, so einen Angstmoment, in dem ich dachte, ich könnte ein Taxi nehmen und nach Damaskus zurückfahren. Es war irgendwie schwierig diesen Konflikt zu erleben. Aber dann habe ich auf die Uhr geguckt und Count-Down und jetzt kommt das zweite Flugzeug. Dann war dieser Moment einfach weg.
Yannic: Wie bist Du von Istanbul dann weiter?
Achmed: Am nächsten Morgen kam dann dieser Kumpel und dann sind wir nachts mit dem Bus weitergefahren, nach Izmir. Das ist eine Stadt, die liegt westlich in der Türkei. An der Küste. Und dort haben wir zwei Tage, vielleicht, gewartet bis die Wellen, also das Meer, also es gibt Tage, an denen man sagt, dass die Wellen richtig hoch sind, und da kann man nicht [in See stechen, a.d.R.]. Wir haben gewartet, bis es besser geworden ist. Dann sind wir nachts in einem Mini-LKW, vielleicht so siebzig Leute, mit diesem Auto nachts viereinhalb Stunden zu dem Strand gefahren. Und dann haben wir dort gewartet, von vier Uhr morgens bis sieben, bis die Polizei, die den Strand überwacht, weg war und dann sind wir mit einem Schlauchboot los. 4,5 Stunden später ging der Motor nicht mehr. Wir waren aber einundsiebzig auf dem Boot. (…) Also einundsiebzig Menschen haben wir auf dem Boot gezählt. Allerdings 14 oder 15 davon waren kleine Kinder. Zwischen 1 und 5 Jahren, von daher zählen die nicht so richtig, man kann sagen wir waren 64/65 Menschen vom Gewicht her. Das Boot war aber groß genug, so neuneinhalb Meter oder so. Ich muss aber noch was dazu sagen, mir kommt das alles wie ein Traum vor. Ich muss mir Mühe geben mich überhaupt erinnern zu können, das muss ich vorab sagen. Ja, dann ging der Motor nicht mehr. Nach 20 bis 30 Minuten ging er doch, weil der war ja brandneu, also von der Verpackung her und es war die erste Benutzung. Angst hatten wir natürlich, wollten wir aber nicht zeigen, weil wir hatten ja Kinder und Frauen dabei. Die Menschen auf dem Boot haben aber nicht immer mit gemacht, die waren chaotisch und nicht alle konnten Englisch. Es kamen manche auch aus Afghanistan und Pakistan und nicht alle konnten englisch, leider. Also so, dass man kommunizieren kann. Aber zum Glück kam ein Hubschrauber, hat uns geortet, dann war er kurz weg und dann kam eine halbe Stunde später ein Schiff von der Polizei von der griechischen Seite und hat uns geholt. Ja, und ich habe sogar einen Schlag auf den Kopf bekommen, dass ich sitzen bleibe und nicht stehe auf dem Boot, aber okay…
Yannic: Wo warst Du dann in Griechenland?
Achmed: Von dem Strand haben sie uns in einem Bus in die Berge oben irgendwohin gebracht. Du wir waren dort einen Tag lang. Und währenddessen… Am Anfang wusste meine Familie nicht, wo ich war. Sie wussten, dass ich in der Türkei war, mein Bruder, dass ich dort war, dass ich in dieser Nacht los ging, aber er hatte nichts mehr gehört. Am nächsten Morgen, am Mittag habe ich irgendwie den Polizisten überzeugt, dass ich jemandem unbedingt Bescheid geben soll, jemand der im Meer ist. Ich habe lügen müssen. Dann hat er mir mein Handy gegeben und mir ist aufgefallen, dass ich keine griechische Sim-Karte habe und dann habe ich gesagt: „Ne, das geht nicht, ich brauche das Handy von jemandem aus der Gruppe.“ Ich habe jemanden gerufen in der Gruppe und er [der Polizist, a.d.R.] hat gesagt, dass er das Handy holt. Dann hat es gedauert, bis er das Handy geholt hat. Dann hat es gedauert, bis er seiner Familie Bescheid gegeben hatte und dann am Ende habe ich das Handy bekommen und habe die Nummer von meinem Bruder eingetippt, ich kenne die auswendig, und habe gesagt: „Hallo Bruder, ich bin es. Ich bin gut angekommen, ich kann nicht mehr schreiben. Morgen erst. Ciao.“ Und dann hat er kurz geschrieben: „Gottseidank“. Und dann habe ich das Handy abgegeben und ausgeschaltet. Und das war ein großer Moment für mich, ich kann Dir das jetzt nicht wirklich übersetzen, aber es war wirklich groß für mich, dass ich überhaupt Bescheid geben konnte.
Yannic: Wie war dort der weitere Plan? Wolltest Du weiter nach Deutschland oder war Europa erst einmal das Ziel?
Achmed: Also gut, wie mein Bruder immer gesagt hat: „wenn Du in Griechenland landest und Dich dort nicht mehr bewegen kannst und dort bleiben müsstest, ist viel besser als hier zu bleiben.“ Also allein Griechenland war schon top. Aber, ich habe mir gedacht, wenn ich weiterkönnte, wäre schön. Auf der Liste war Holland, Luxemburg, Deutschland, Skandinavien generell. Man wusste schon, dass Menschen dort gut behandelt werden, ab Griechenland.
Yannic: Wie bist Du von dort dann nach Deutschland gekommen?
Achmed: Nach Griechenland, also wir waren in Chios, das ist eine Insel, und von dort sind wir am nächsten Morgen, als wir aus dem Camp, in dem wir einen Tag waren, raus konnten, sind wir mit dem Bus runter in die Stadt. Und am nächsten Tag, nachts um 21 Uhr, sind wir mit dem Flugzeug nach Nordgriechenland, Thessaloniki, das ist dort eine Stadt. Und dort sind wir am nächsten Morgen mit dem Bus zur Grenzen nach Mazedonien. Von dort sind wir einen halben Tag gelaufen und dann waren wir einen Tag in Mazedonien und abends sind wir mit dem Zug nach Nordmazedonien und nachts haben wir versucht nach Serbien reinzukommen, zu laufen. Es hat aber nicht geklappt. Sie haben gesagt: „Back to Macedonia!“, es hat also nicht geklappt. Am nächsten Morgen um 5 oder 6 sind wir doch rein, es hat geklappt und dort… da muss ich kurz überlegen wie die nächste Station war.
Er holt eine Zigarette aus dem Etui mit den Selbstgestopften, nimmt einen tiefen Zug und reibt sich die Schläfen.
Achmed: In Serbien… Ab der Grenze sind wir mit dem Bus irgendwie nach Belgrad und dort haben wir übernachtet in einem Hostel. Millionen Menschen in einem Raum, wir waren zehn oder so. Am nächsten Morgen sind wir entweder mit dem Bus oder mit dem Zug, ich weiß es nicht mehr genau, nach Szeged, eine Stadt an der Grenze von Ungarn. Einen Tag sind wir dort [an der Grenze, a.d.R.] geblieben und haben geplant von dort nach Ungarn zu gehen. Warte kurz.
Er holt sein Handy raus und sucht auf der Karte nach dem Ort. Er zeigt mir auf der Karte, wo sie waren.
Achmed: Wir sind von hier, Nordserbien, nach Szeged, das liegt schon in Ungarn, nachts, also um halb acht, nach Ungarn gelaufen. Am nächsten Morgen um zehn nach vier sind wir hier angekommen. Und dort haben wir gewartet, weil es viele Hunde in dem Dorf gab und die haben gebellt und wir wollten keine Aufmerksamkeit in dem Dorf provozieren. Und wir haben uns auf den Feldern versteckt, in corn fields, also Maisfeldern. Und um 7 sind wir etwas weitergelaufen und es kam ein Mann mit einem Fahrrad, ein Lehrer, und wir haben ihm gesagt, dass wir jetzt hier losmüssen und zur Hauptstadt wollen. Er hat das dann koordiniert und es hat aber erst um vier oder fünf Uhr nachmittags geklappt. Es kamen drei Autos, um uns, wir waren eine kleine Gruppe, abzuholen. Von jedem von uns haben sie 250€ genommen, um uns in die Hauptstadt zu fahren. Und dann waren wir um 11 Uhr abends erst in Budapest. Und in dieser Nacht habe ich versucht mit einem Kumpel mit dem Taxi nach Wien zu kommen, weil er hatte erfahren, dass man mit einem Taxi nach Wien kann. Das würde ein paar hundert Euro kosten. Das haben wir geglaubt, dummer Weise. Und dann haben die versucht uns irgendwo in einem Wald zu verarschen. Sie wollten uns dort im Wald lassen und zurückfahren. Sie hatten unser Geld erst genommen, es waren 900€, von zwei Personen. Es war so: wir sind mit zwei Taxis gefahren. In einem Taxi waren wir zu zweit mit dem Fahrer. Und er hat die ganze Zeit mit einem anderen Fahrer telefoniert, also eigentlich zwei andere, die in dem anderen Auto waren. Und irgendwo in dem Wald hat er gesagt: „Ihr müsst jetzt hier aussteigen, wir müssen kontrollieren, ob die Polizei hier ist. Erst dann können wir weiterfahren.“ Und dann sind wir ausgestiegen und dann habe ich zu dem Kumpel gesagt: „Du, sie wollen uns verarschen!“. Ich habe nämlich gesehen, dass das andere Auto mit nur einem Fahrer kam und währenddessen sind wir weg von dem Auto, mit dem wir gekommen sind, gelaufen, sodass wir das nicht mehr sehen konnten. Währenddessen ging der andere Mann [der zweite Fahrer aus dem zweiten Taxi, a.d.R.] und stieg ins Auto, also in unser Auto, ein und wollte das Auto wegfahren. Und unser Fahrer wollte in das andere Auto einsteigen, und das hatte er gemacht und hatte uns gesagt: „Wartet hier“. Hast Du das verstanden? Dass beide Autos weg sind und wir doof im Wald bleiben. Unsere 900€ wären weg gewesen und wir wären „in the middle of nowhere“. Ohne Geld, ohne Handy. Wir hatten die zwar dabei, aber ohne Strom, ohne SIM-Karte. Einfach so, wie schlimm ist sowas? Das ist einfach nicht menschlich. Ich habe von Menschen erfahren, dass deren Erfahrungen noch schlimmer waren. Ich habe dann gesagt: „Nee, wir steigen wieder ins Auto.“ Und wir würden doch zurück nach Budapest wollen und sie wollten uns unser Geld nicht zurückgeben und ich war etwas stur und dann haben sie uns doch etwas von dem Geld zurückgegeben. Wie viel war das…? 400 oder 500 haben sie uns zurückgegeben. Er hat gesagt, dass habe Benzin gekostet. Zwei Stunden Fahrt, hin und zurück. Ja, es war keine schöne Erinnerung. Nachts haben wir versucht unter einem Baum zu schlafen. Nach einer Stunde hat es angefangen zu regnen. Dann waren wir bei dem Stadion der Hauptstadt, also Fußballstadion, und dann haben wir 10 oder 15€ zahlen müssen, um eine Viertelstunde Wifi zu kriegen in einem Café. Wir wurden die ganze Zeit verascht in Ungarn, echt jetzt. Dann habe ich meiner Schwester Bescheid gegeben, dass ich noch lebe. Und dann habe ich jemanden angerufen in den Niederlanden und gesagt: „Gib mir bitte eine Nummer von jemandem, der uns helfen kann.“ Er hat uns eine Nummer gegeben und ich habe dort angerufen. Und er hat gesagt: „Ihr könnt mich an dem Ort treffen.“ Wir sind dort mit dem Taxi hingefahren und haben ihn gesehen und haben ihm gesagt“ Wir haben so wenig Geld, wir müssen jetzt hier raus.“ Und es hat geklappt, dass wir abends mit dem Auto nach Deutschland konnten. Es hat jeweils 550€ gekostet. Wir sind mit dem Auto los und da war an dem 26. und an dem 27. um drei Uhr sind wir angekommen. Wir waren zu fünft in dem Auto. Rechne mal fünf mal 550. So viel haben die verdient die Schmuggler, die Menschen, die das organisiert haben. Das war eine Zusammenfassung von diesen 13/14 Tagen. Von Angst kann ich viel erzählen, von Enttäuschung, von… dass ich irritiert war und dass ich an manchen Stellen wirklich zurück wollte. In Serbien habe ich gesagt, ich habe noch meinen syrischen Pass und ich könnte jetzt einfach zurück in die Türkei fliegen. Es war echt chaotisch.
Yannic: Das heißt, Du hast Dein Smartphone relativ wenig auf der Reise benutzt, weil ihr einfach kein Internet hattet?
Achmed: Immer wieder ja, an manchen Stellen war immer mal Wifi, in einem Café oder so. Man hat immer wieder mal 10/15€ zahlen müssen, um ein paar Minuten Wifi benutzen zu dürfen. Ich habe in Serbien mit meinem Bruder ein paar Minuten telefoniert, bevor wir nach Ungarn losgelaufen sind. Und es war wie ein Traum. Ich habe mit ihm telefoniert, ich habe ihn gesehen auf dem Bildschirm, aber es war wie ein Traum. Weißt Du was Meltdown heißt? Ich war richtig… Ich wollte nichts mehr, ich wollte nicht zurück, ich wollte nicht weiter, ich wusste nicht, wie ich dazugekommen bin, hier zu sein. In einer Lage, in der ich nicht richtig denken konnte. Das hat im Nachhinein eine Depression verursacht. In den ersten zwei Monaten hatte ich in Deutschland eine schwere Depression. Ich musste Medikamente nehmen. Ja, ich bin froh, jetzt im Nachhinein, dass ich das erleben durfte, das hat mich bestärkt. Aber während dieser Erfahrung, das war nicht schön. Dass Du nachts 3 Stunden schläfst, aber nicht richtig, nur, dass die Augen zu sind und Du nicht schlafen kannst, weil Du die ganze Zeit aufgeregt bist. Du bist irgendwo, wo Du die Sprache nicht kannst. Zum Glück kann ich englisch, sodass ich an der Haltstelle nach dem Weg fragen konnte. Alles war neu, … die Luft war neu, diese Feuchtigkeit war neu. Dass musste innerhalb von ein paar Wochen adaptiert werden, dieses neue Klima, also Wetter und seelisch.
Yannic: Zu den finanziellen Dingen zurück, hattest Du für die komplette Reise das Geld in bar dabei?
Achmed: Ja, in der Tasche. Immer Stück für Stück. In der Türkei haben wir 1500, um nach Griechenland gehen zu können. Mann, ich würde es wieder machen. Weil das ist ein Abenteuer, ja, das klingt jetzt bescheuert, ich würde wieder die Familie verlassen, aber es ist besser als zum Militär zu gehen. Und so etwas abenteuerliches, das kann man nicht zweimal machen. Außer ich gehe jetzt nach Kanada mit… einem Kargoschiff. Das klingt jetzt blöd, aber ich würde es wieder machen.
Yannic: Und bist auf der Flucht irgendwelcher Technik begegnet, die versucht hat Dich abzuwehren? Grenzzäune, Selbstschussanlagen…?
Achmed: Ich würde die drei Männer, die uns verarschen wollten, in Ungarn als Abwehrtechnik bezeichnen. In Griechenland war das ziemlich gut. … Nee, es war nicht wirklich schwierig. Es waren zwei Wochen, wir haben richtig Glück gehabt. Das hilft dir jetzt nicht viel, aber ich muss ja die Wahrheit erzählen, ich kann ja nicht einfach eine Geschichte erfinden.
Yannic: Was würdest Du auf Basis Deiner Erfahrung raten, den Du kennst oder nicht kennst, der jetzt kurz vor seiner Flucht steht? Gibt irgendetwas, was Du dazu sagen möchtet? Quasi Deine Message an die Welt.
Achmed: Erstens: sei offen und nimm nicht jede Sache persönlich auf dem Weg. Wenn Du, sage ich jetzt umgangssprachlich, verarscht werden solltest, hier rein, da raus [zeigt auf das rechte und dann auf das linke Ohr]. Weil, denk immer daran, dass Du irgendwann an Dein Ziel ankommst. Es ist nicht selbstverständlich, dass Du hier ankommst. Ich will nicht sagen, dass wir berechtigt sind hierherzukommen, aber danke der Gelegenheit hier eine Unterkunft zu finden. Und ich würde auch sagen, dass man versucht sich hier schnellstmöglich zu integrieren und die Sprache einigermaßen zu beherrschen und schnell in die Arbeitswelt reinkommt. Ich kenne ein paar Leute, nicht persönlich, aber ich kenne ein paar, die hier so lang wie ich sind und seitdem nichts arbeiten und die werden vom Jobcenter zu so Maßnahmen geschickt werden, wie zum Beispiel Bewerbungen schreiben und da denke ich mit, mein Gott, dass kann man in zwei Stunden am Rechner lernen, weil jeder hat einen Rechner, jeder hat ein Smartphone, da kann man dort auch einfach das lernen. Oder arbeite doch wie ich, ich habe bei McDonalds, bei der Oper in Stuttgart [gearbeitet], und jetzt würde ich es nie akzeptieren, wenn jemand sagt, ich kann die Sprache nicht, ich kann nicht arbeiten. Ich konnte die Sprache nicht und habe gearbeitet. Ich habe Geschirr gespült und habe mich so geärgert, dass ich Gläser gespült habe, aber ich musste dann nur Wohngeld bekommen vom Arbeitsamt. Morgens habe ich einen Deutschkurs gemacht und abends Gläser gespült. Es gab Nächte, da habe ich 15€ Trinkgeld gekriegt. Ich habe nicht mal Zigaretten drehen müssen, ich habe echte Schachteln kaufen können. Und das ist doch toll. [Er lacht.] Wenn ich eine Sache in diesem Interview sagen möchte, dann ist es das. [Er grinst.] Nein, Spaß. Lass nichts Dich davon abhalten zu arbeiten, die beste Methode, um Depression oder Angst bekämpfen zu können, also meiner Meinung nach, ist einfach aus dem Haus zu gehen und zu arbeiten. Selbst, wenn es ein Minijob ist. Es ist doch toll, wenn man weniger Geld vom Arbeitsamt kriegen muss. Okay, ich muss zugeben, ich habe meine Sprache nicht richtig verbessern können, weil es waren oft Studenten mit am Arbeitsplatz und mit denen habe ich oft Englisch gesprochen und ich war froh kein Deutsch sprechen zu müssen, aber an sich direkt zu arbeiten oder nach ein paar Monaten zu arbeiten, ist doch toll. Aber jetzt zurück meinem Rat an diesen Menschen, die jetzt vorhaben hierherzukommen, beziehungsweise nach Frankreich, Niederlande, was weiß ich… nach Europa generell. Dass die sich vorbereiten, dass das Leben hier richtig pragmatisch, praktisch, ist, dass man die Emotionen wirklich … teilweise wirklich aussterben lassen müsste. Das man nicht viele Emotionen haben darf, weil es einem hier nicht wirklich hilft. Hier wird geschafft, hier wird geplant, vor allem in Deutschland. [Lacht.] Es fängt bei der Kehrwoche im Schwabenland an und hört nie auf. Es ist keine Kritik, ich mag es. Ich bin jetzt auch zu 40% eingedeutscht, im Sinne von… dass man einfach arbeiten soll, muss, darf. Ich weiß, die Frage ist nicht beantwortet…
Yannic: Die Frage ist beantwortet, wenn Du nichts mehr sagen möchtest.
Achmed: Mein Rat ist, bezüglich der Reise selbst, ist, dass man erst mal, erst mal hoffe ich, dass man gut ankommt und zweitens, dass man später einen Konflikt haben wird mit der Identität. Jetzt guck mich an: ich gehöre nicht hier her, ich bin immer der Mensch mit dem Migrationshintergrund, der einigermaßen Deutsch kann. Und ich bin nicht mehr der Syrer. Wenn ich dort hingehe. Wenn ich mit jemandem telefoniere, dann spricht man mit mir so: „Ja, hier ist es so. Du wirst es nicht mehr erkennen.“ Sie erzählen von Neuigkeiten, als würdest Du seit 20 Jahren in Deutschland leben. Wenn Ich zurückgehe, werde ich als Gast behandelt. Man ist nicht mehr Syrer und auch kein Deutscher, selbst wenn ich einen deutschen Pass hätte. Selbst wenn ich 20 Jahre hier leben würde, ich gehöre nicht 100% hier her. So ist es. Allerdings genieße ich, oder versuche ich jeden Moment zu genießen. Diese tolle Erfahrung, die mein Leben verändert hat, dass weißt Du ja, ich bin ja mittlerweile selbstständig. Ich habe da was angefangen und es war nicht einfach, aber ich freue mich, dass das so ist.
Yannic: Gibt es noch irgendwas, was Du allgemein zu der Flucht noch sagen möchtest? Oder wie ist das eigentlich auf den deutschen Ämtern gewesen? Möchtest Du davon noch berichten? Wie war das mit der Beantragung der Papiere?
Achmed: Es ging generell schnell, Bürokratie gibt es in jedem Land, hier ist es besonders viel, aber die Beamten sind … es unterscheidet sich. Manche sind hilfsbereit und freundlich, manche behandeln Dich wegen Deiner Herkunft schlecht. Wenn Du jetzt aber fragst, während der Zeit, in der ich meinen Asylantrag gestellt habe, es ging eigentlich gut. Ich habe aber von Menschen gehört, die zwei oder 2 ½ Jahre warten mussten, bis eine Antwort kam. Und teilweise wurden die sogar abgelehnt, dann haben die so eine Duldung bekommen, das heißt, dass sie nicht abgeschoben werden, aber nicht anerkannt werden.
Yannic: War das Militär der einzige Grund, warum Du Syrien verlassen wolltest, oder gab es noch andere?
Achmed: Aber grundsätzlich der Militärdienst, weil ich hatte keine Lust acht oder neun Jahre beim Militär zu sein und man weiß nicht, ab man das überlebt. Und ich wollte meine Landsleute nicht bekämpfen. Nur weil ein Neu-Hitler die Macht sehr mag, mit Neu-Hitler meine ich Assad. Und dazu will ich auch sagen, bin ich Druse von der Religion her und wir sind da auch eine Minderheit und nicht so beliebt, nicht so gerne gesehen, auch hier im Flüchtlingsheim. Da habe ich es nicht immer schön gehabt. Mit Menschen, die uns nicht akzeptieren. Es gibt immer Leute, die so dumm sind. [Er lacht.] Es tut mir leid, Du musst das jetzt in eine gescheite Sprache bringen, es tut mir Leid, ich arbeite die ganze Zeit auf eine Baustelle [Er zwinkert, er arbeitet nicht auf einer Baustelle, a.d.R.]. Besser kann ich nicht reden.
Yannic: Ich danke Dir ganz herzlich für die Zeit und das Interview.
Achmed: Habe ich gerne gemacht, bei der nächsten Flucht kann ich gerne wieder ein Interview geben. [Er grinst.]
Yannic: Also die Flucht aus dem Schwabenland.
Achmed: Ja, genau. Ich habe sogar eine Tüte, da steht drauf: Allein unter Schwaben.
Zu Achmed:
Name (freiwillig): Achmed (anonym, Name geändert)
Alter: 25
Geschlecht: männlich
Herkunft: Damaskus
Status: Anerkannter Flüchtling (Befristete Erlaubnis)
Wohnort+Land: Schwaben, Baden-Württemberg, Deutschland
Sprache(n): Syrisch (syrisches Arabisch), Englisch, Deutsch
Zeitraum der Flucht: 14.07-27.07.2015
Dieses Interview wurde von Yannic Becker am 10.07.2021 geführt.
Das Interview wurde für den Lesefluss leicht modifiziert.