Die vom Europäischen Parlament gegründete Agentur Frontex ist in aller Munde. Auf unserer Informationslandschaft stellen wir die Agentur anhand grundsätzlicher Fragen vor. Dazu gehört zum Beispiel ihre Gründung, Einsätze, Finanzierung und inwieweit die Transparenz der Einrichtung gewährleistet wird. Es finden sich zu Frontex keine Interviews, sondern viele Artikel, Literatur und offizielle Papiere der EU. Wir versuchen die Rolle der Agentur nachzuvollziehen und in die Gruppe von Akteur*innen und Systemen einzuordnen, die für die EU-Grenzsicherung zuständig sind.
Zweck und Gründung
Initiator der Gründung von Frontex war die Europäische Kommission. In ihrer Verordnung VERORDNUNG (EG) Nr. 2007/2004 DES RATES vom 26. Oktober 2004[1]VERORDNUNG (EG) Nr. 2007/2004 DES RATES vom 26. Oktober 2004 : https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:349:0001:0011:DE:PDF wird die Gründung einer Agentur für den Schutz der Außengrenzen beschlossen. Zwecke der Agentur sollen sein:
- Hohes Kontroll- und Überwachungsniveau
- Durchsetzung gemeinsamer Vorschriften der Mitgliedstaaten, Koordinierung der Zusammenarbeit an den Außengrenzen
- Die Agentur soll auf Basis eines gemeinsamen Risikoanalysemodells Risikoanalysen durchführen und an die Mitgliedstaaten weitergeben.
- Die Agentur soll Schulungen für Grenzschutzbeamt*innen und für Beamt*innen der zuständigen nationalen Dienste anbieten.
- Die Agentur soll wissenschaftliche Forschung verfolgen.
- Die Agentur soll ein Inventar der von den Mitgliedstaaten bereitgestellten technischen Ausrüstungsgegenstände führen.
- Die Agentur soll die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen unterstützen, wo dies erforderlich ist.
- Die Agentur kann mit Europol, zuständigen Behörden in Drittstaaten und internationalen Organisationen zusammenarbeiten.
- Die Agentur kann Fachaußenstellen errichten, die für die Land-, Luft- und Seegrenzen zuständig sind.
- Die Agentur soll in technischen Fragen unabhängig und rechtlich, verwaltungstechnisch und finanziell autonom sein.
- Ein Verwaltungsrat der Kommission und Mitgliedstaaten kontrolliert die Tätigkeit der Agentur. Dieser Rat besteht aus Vertreter*innen des Grenzschutzes der Mitgliedstaaten.
- Finanziert wird die Agentur aus einem Beitrag der Gemeinschaft. Das soll die „vollständige Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Agentur gewährleisten.“
Frontex Transparenz
Frontex selbst betreibt ein Transparenzbüro, über das Anfragen an die Agentur gestellt werden können. Dafür muss man einen Nachweis erbringen, dass man eine juristische Person (z. B. ein Unternehmen) oder eine natürliche Person mit Sitz in Europa ist.
Gerade was unser Interessengebiet, sprich Grenzsicherungstechnik, angeht, kann es wenig aussichtsreich sein, detailierte Informationen zu erhalten. Zumindest ergab dies unsere Anfrage beim EU-Parlament. In der entsprechenden Antwort wurde es wie folgt formuliert:
„[…] die Verwaltung des Europäischen Parlaments verfügt leider nicht über die Daten, die Sie interessieren. Die Sicherung der Grenzen ist Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten. Eventuell könnte Ihnen vielleicht die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache FRONTEX weiterhelfen: https://frontex.europa.eu/ bzw. die Ministerien für Innere Angelegenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten (sofern diese Informationen nicht ohnehin unter Verschluss stehen). […]“
Bei unseren Recherchen sind wir außerdem auf einen Artikel gestoßen, der sich eben mit dem Thema IFG-Anfragen bei Frontex beschäftigt. Luisa Izuzquiza und Nico Semsrott stellen folgende Frage an Frontex: „Ich bitte um Unterlagen, die die folgenden Informationen enthalten: eine Liste aller Schiffe, die Frontex derzeit im zentralen und östlichen Mittelmeer einsetzt.“ Aus dieser Anfrage entwickelte sich ein Rechtsstreit, der hier nachvollzogen werden kann: https://correctiv.org/top-stories/2019/08/04/frontex-transparenz/
Immer wieder wird Frontex Intransparenz vorgeworfen. Aus Anfragen nach Dokumenten entwickeln sich Streitfragen, die vor dem Europäischen Gerichtshof geklärt werden müssen.
Mit FragDenStaat befindet sich Frontex seit Jahren in einem Konflikt. Der Teil der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. hat bereits zahlreiche Dokumente der Agentur online gestellt.[2]https://aleph.occrp.org/datasets/1330
Verschafft man sich einen Überblick über die Dokumente, wird klar, dass verschiedene Arten von Informationen geschwärzt oder durch allgemeine Begriffe ersetzt werden.
Hier folgt ein Beispiel. Zunächst jedoch ein Hinweis: Es handelt sich um ein Dokument, welches das Auffinden toter Personen dokumentiert. An dieser Stelle beschäftigen wir uns rein informativ mit diesen Berichten und können den emotionalen und humanitären Seiten der Berichte nicht gerecht werden.
Bei unserem Beispiel handelt es sich um einen Serious Incident Record (SIR). Hier wurden Personendaten aus dem Dokument entfernt und der Typ der Ressource, die verwendet wurde, wurde mit einem allgemeinen „technical equipment“ ersetzt. Im Einzelnen beruft sich Frontex in solchen Fällen auf nummerierte Justifications. Eine genaue Auswertung der Daten wird einige Zeit in Anspruch nehmen und steht noch aus.
Was sich jetzt aber bereits sagen lässt, ist dass Frontex offensichtlich viele Daten nicht veröffentlichen kann, darf oder will. Das hat viele mögliche Gründe.
Wir bewegen uns hier scheinbar schon im Bereich des militärischen Geheimhaltungsgrades. Es kann gut möglich sein, dass wegen der Geheimhaltungsgrade der Mitgliedstaaten[3]https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sicherheit/vergleichstabelle-geheimhaltungsgrade.pdf?__blob=publicationFile&v=1 Frontex manche technische Spezifikationen nicht veröffentlichen darf.
Dass Frontex keine Daten zu Personen veröffentlicht, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Allerdings fragen wir uns, warum Frontex nach außen hin mit Transparenz wirbt, obwohl diese offensichtlich eingeschränkt ist. Es wäre ja absolut verständlich, wenn sie gewisse Aspekte, zum Beispiel die Geheimhaltung der einzelnen Mitgliedstaaten, als Grenze für ihre Transparenz anführen würden. Weil Frontex mit Transparenz werben möchte, tun sie sich an dieser Stelle keinen Gefallen. .
Technisches Equipment
Frontex erhält sein Equipment aus dem TEP – dem technischen Equipment Pool der Europäischen Union. Hier kann Frontex Equipment anfordern. Entsprechende Informationen finden sich im Annual Implementation Report, der über die Website von Frontex öffentlich zur Verfügung steht. Im untenstehenden Auszug des Reports erkennt man, dass entsprechende Ausrüstung in relativ allgemeinen Kategorien gelistet wird. Über die mobilen Geräte ließen sich genauere technische Spezifikationen evtl. finden, wenn man über Budget und Vertragslisten, die ebenfalls auf Frontex offizieller Website gelistet sind, die Lieferanten des jeweiligen Equipments identifiziert.
Für Fahrzeuge dürfte das schwieriger sein. Von Frontex wurden wir auf die Frage nach technischen Spezifikationen zwar auf die Key Documents auf der Website verwiesen, wirklich ausführlich sind die Dokumente aber nicht. Ehemals wurde das des technischen Equipments über die Datenbank CRATE verwaltet. In der Mitteilung der Europäischen Union vom 13.02.2008 wurde die Gründung eines zentralen technischen Verwaltungspools begründet. [4]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008DC0067&from=DE
Einsätze
Operation Triton/Themis [5]https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/default/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/background-information/docs/frontex_triton_factsheet_de.pdf löst die Initiative zur Seenotrettung „Mare Nostrum“ der italienischen Küstenwache ab. Bereits zu Beginn stand die Aktion aber in der Kritik.[6]https://www.proasyl.de/news/europas-schande-triton-und-mare-nostrum-im-vergleich/?gclid=Cj0KCQjw6NmHBhD2ARIsAI3hrM1Tp6UzpxVqVnvX-D82pPYHjv__QXH6njgfro_NXJlT7F1bK8mDOYoaAoUMEALw_wcB Das liegt daran, dass der Operation Triton weniger finanzielle Mittel und technische Ressourcen zur Verfügung standen, das Einsatzgebiet geringer war und eben keine Schiffe eingesetzt wurden.
Ab 2018 wurde aus der Operation Triton die Operation Themis. Euronews berichtet, dass die Operation Themis weiterhin Such- und Rettungsaktivitäten als Kernaufgabe haben sollte.[7]https://de.euronews.com/2018/02/01/neue-frontex-operation-themis-im-mittelmeer Was damit gemeint sein soll, ist allerdings unklar, denn die ursprüngliche Operation Triton hatte Such- und Rettungsaktionen nicht als Kernaufgabe. In einem offiziellen Informationsblatt der Europäischen Union wird beschrieben, wie Frontex bei der Operation Triton Such- und Rettungsaktionen unterstützt.[8]https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/default/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/background-information/docs/frontex_triton_factsheet_de.pdf Abgerufen am 05.09.2021. Die entsprechenden Formulierungen werfen einige Fragen auf:
„Wenn ein Flugzeug ein Boot mit Flüchtlingen
entdeckt, schätzt die Besatzung ab, ob sich
diese in einer Notlage befinden und informiert
das Internationale Koordinations-Zentrum
(ICC-International Coordination Centre)“
Eine offene Frage zu dieser Formulierung wäre etwa, ob sich ein Flüchtlingsboot nicht grundsätzlich in einer Notlage befindet. Frontex oder nationale Grenzschützer sind laut dieser Beschreibung nicht verpflichtet, das maritime Such- und Rettungszentrum in Italien (organisiert von der italienischen Küstenwache) zu informieren.
„Sie [die italienische Küstenwache] kann so das SAS-Boot, das sich am nächsten befindet oder am besten ausgerüstet ist, anrufen, um es zu dem Boot in Notlage zu senden und mit Suche und Rettung zu beginnen.“
Selbst wenn Grenzschützer der Operation Triton also ein Flüchtlingsboot entdeckt und als Notlage eingestuft hätten, wurde in dieser Formulierung die Reaktion des Such- und Rettungszentrums nicht vorgeschrieben. Wie man also den Satz, dass Operation Themis weiterhin Such- und Rettungsaktivitäten als Kernaufgabe hat, verstehen soll, ist an dieser Stelle nicht zu beantworten. Denn die Vorgehensweise, die hier beschrieben wird, beinhaltet weniger als jedes private Schiff auf See als grundsätzliche Verpflichtung hat. Außerdem wirft es Fragen über die Existenzberechtigung eines maritimen Such- und Rettungszentrums auf, das anscheinend nicht verpflichtet ist, die einzige Aufgabe zu erfüllen, die es hat.
Forschung & Technik
Schon vor den Einschränkungen der globalen Pandemie wurde bei der Ausbildung bei Frontex viel auf digitale Lehre im weiteren Sinne gesetzt. Zwar wird bei der Ausbildung Wert auf praktische Übungen gelegt, die unter den Teilnehmer*innen eine gemeinsame „Europäische Grenz- und Küstenwachenkultur“ herstellen soll.[9]https://frontex.europa.eu/we-build/building-capabilities/courses/ Abgerufen am: 05.09.2021 Allerdings kommen wohl Techniken wie Virtual Reality zum Einsatz. So gab es 2017 einen Vertrag mit Christian Lunger, der bei „motas“ arbeitet, einer österreichischen Firma, die auf grafische Leitsysteme und Virtual Reality spezialisiert ist.[10]Im Keydokument: External Experts Contracts (Above 15,000EUR)(2017) wird Herrn Lungers Rolle mit: Virtual Reality training consultancy andcourseware production“ angegeben. … Continue reading
Aktuelle Veröffentlichungen:
Finanzierung
Die Finanzierung der Agentur Frontex hat in den letzten 15 Jahren massiv zugenommen. Wie bereits erwähnt wurde(Zweck und Gründung) wird Frontex aus der EU-Gemeinschaft finanziert, damit soll die Unabhängigkeit der Agentur gewährleistet werden.
Kritik
Nachdem mehrere Fälle von Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer von verschiedenen Seiten dokumentiert wurde, hat die EU eine Untersuchung gestartet die durch Mitglieder aller politischen Parteien des Europäischen Parlaments durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung die durch einen ausführlichen Bericht dokumentiert worden sind stehen online zur Verfügung.
Sehr simpel ausgedrückt kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sie im ihnen zur Verfügung gestellten Material keine Hinweise gefunden hat, dass von Frontex Mitarbeitern selbst Menschenrechte verletzt wurden. Das läge aber laut der „Frontex Scrutiny Working Group“ nicht daran, dass es diese Hinweise nicht gäbe, sondern daran, dass der Arbeitsgruppe Material und Zugriff vorenthalten wurde. Frontex Reaktion auf den Bericht ist absurd.
Frontex welcomes the report by the Scrutiny Working Group and its conclusions which reaffirmed that there is no evidence of the Agency’s involvement in any violation of human rights. The agency has been working with the Parliament’s scrutiny group in an open and transparent manner, sharing information and receiving the MEPs during an online visit to Frontex. The agency remains committed to cooperating with the European Parliament.
Offizielle Frontex Website – News [12] … Continue reading
Zusätzlich werden Frontex in diesem Bericht akkute Strukturmängel vorgeworfen, sowie, dass die Agentur die Grundrechte von Mitgliedstaaten verletzt haben. Fabrice Leggeri wird deutlich angegriffen und sein Rücktritt gefordert. Letztlich hängt die Zukunft von Frontex allerdings nicht am Direkor. Bereits 2012 gab es Vorwürfe gegen Frontex, die der damalige Direktor Ilkka Laitinen bestätigt hat. Wir wir feststellen, bleibt die Kritik an Frontex auch nach dem Wechsel eines Direktors gut möglich dieselbe. Nach wie vor hält Frontex Dokumente zurück, die Agentur hat strukturelle Probleme, kommt Auflagen nicht nach (Anstellung von Menschenrechtsbeauftragten) und hält an den Grenzen Europas einen rechtfreien Raum[13] https://www.spiegel.de/ausland/skandal-um-eu-grenzschutzbehoerde-frontex-europas-grenzen-sind-ein-rechtsfreier-raum-a-2d9fdf01-ff88-4f98-90d0-4545573e8117 aufrecht in denen Menschen unter qualvollen Bedingungen traumatisiert werden und in sehr vielen Fällen sterben.
References
↑1 | VERORDNUNG (EG) Nr. 2007/2004 DES RATES vom 26. Oktober 2004 : https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:349:0001:0011:DE:PDF |
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↑2 | https://aleph.occrp.org/datasets/1330 |
↑3 | https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sicherheit/vergleichstabelle-geheimhaltungsgrade.pdf?__blob=publicationFile&v=1 |
↑4 | https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008DC0067&from=DE |
↑5 | https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/default/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/background-information/docs/frontex_triton_factsheet_de.pdf |
↑6 | https://www.proasyl.de/news/europas-schande-triton-und-mare-nostrum-im-vergleich/?gclid=Cj0KCQjw6NmHBhD2ARIsAI3hrM1Tp6UzpxVqVnvX-D82pPYHjv__QXH6njgfro_NXJlT7F1bK8mDOYoaAoUMEALw_wcB |
↑7 | https://de.euronews.com/2018/02/01/neue-frontex-operation-themis-im-mittelmeer |
↑8 | https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/default/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/background-information/docs/frontex_triton_factsheet_de.pdf Abgerufen am 05.09.2021 |
↑9 | https://frontex.europa.eu/we-build/building-capabilities/courses/ Abgerufen am: 05.09.2021 |
↑10 | Im Keydokument: External Experts Contracts (Above 15,000EUR)(2017) wird Herrn Lungers Rolle mit: Virtual Reality training consultancy and courseware production“ angegeben. https://frontex.europa.eu/assets/Key_Documents/Contracts_awarded/External_experts_contracts_2017.pdf Abgerufen am: 05.09.2021 |
↑11 | https://kurier.at/politik/inland/frontex-europa-laesst-sich-seinen-grenzschutz-was-kosten/400339624 |
↑12 | https://frontex.europa.eu/media-centre/news/news-release/frontex-welcomes-report-by-the-scrutiny-working-group-0AQJWYhttps://www.europarl.europa.eu/cmsdata/238156/14072021%20Final%20Report%20FSWG_en.pdf |
↑13 | https://www.spiegel.de/ausland/skandal-um-eu-grenzschutzbehoerde-frontex-europas-grenzen-sind-ein-rechtsfreier-raum-a-2d9fdf01-ff88-4f98-90d0-4545573e8117 |