An einem sonnigen Vormittag (21.06.2021) fand das Interview mit Hassan (Name geändert) statt. Hassan ist im Jahr 2015 in Deutschland angekommen und lebt seit 2016 in einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg. Der Kontakt entstand über eine gemeinsame Bekannte, die Hassan Deutschnachhilfe gibt und in deren Garten wir unser Gespräch führten. Hassan spricht eigentlich nicht über seine Flucht, er möchte die Ereignisse nicht immer wieder hervorholen. Umso dankbarer bin ich, dass er sich zum Interview bereit erklärt und so offen über seine Erlebnisse gesprochen hat. Nach der Begrüßung und einer nochmaligen Absprache bezüglich Rahmen und Ablauf begannen wir mit dem Interview.
I: Woher kommst du?
H: Ich komme aus Afghanistan.
I: Und aus welcher Region?
H: Dschalalabad ist die City und Nangarhar ist, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, so eine große Stadt.
I: Wie ist dein aktueller Aufenthaltstitel?
H: Ich habe jetzt Abschiebungsverbot. Für ein Jahr.
I: Und wann genau hast du den Asylantrag eingereicht?
H: Am 11.08.2015 habe ich Asylantrag gestellt. Und es hat schon lange Zeit gedauert bis ich äh… Ich hab bis letztes Jahr, soll ich sagen, oder bis Januar dieses Jahr, hab immer jede sechs Monate neuen Ausweis bekommen. Und diesmal hab ich für ein Jahr Abschiebungsverbot bekommen.
I: Wie genau sieht es mit dem Asylantrag jetzt aus?
H: Den Asylantrag haben die abgelehnt, ja, hab negativ bekommen. Ich weiß nicht, was die alles gedacht haben. Damals konnte ich nicht lesen richtig. Und hatte ich Übersetzer dabei, der hat übersetzt, aber dann wusste ich nicht, was der redet. Und ich hab, ich denke letztes Jahr, hab ich mal mein Interview wieder durchgelesen, was ich alles erzählt habe. Dann hatten die fast die Hälfte nicht geschrieben, was ich erzählt hatte.
I: Also gab es allein schon ein Problem wegen der Kommunikation?
H: Das war das große Problem. Das meiste, was ich erzählt hatte… Da stand nicht alles. Ich meine, ich wusste es und ich weiß es auch, was ich damals erzählt habe alles und um was alles ging. Aber die Sachen sollten auch in meiner Anhörung alle drin sein, aber sind nicht drin. Die halben sind da und die wichtigen, die, soll ich sagen, – es ist negativ für mich, aber ist positiv für meinen Asylantrag, dass ich den Grund vorlegen kann, warum ich da einen Asylantrag habe – die waren alles fehlt. Und da habe ich auch dann negativ bekommen.
I: Und wie ist es dann zum Abschiebungsverbot gekommen?
H: Zum Abschiebungsverbot ist so gekommen: Ich hab hier dann 2017 Schule gemacht, äh Hauptschule, Vorbereitung für Ausbildung. Und danach habe ich Ausbildung angefangen und inzwischen von Ausbildung ich bin drittes Jahr. Dann haben die auch gedacht, dass ja… Es ist so, wenn man jetzt Ausbildung macht, dann darf man auch noch zwei Jahre bis zum Schluss bleiben. Dann haben die mich dieses Jahr hiergelassen, dass ich locker meine Ausbildung beenden kann. Und jetzt sehen wir, wie es aussieht nach der Ausbildung, ob ich zwei Jahre noch plus arbeiten darf oder werde ich abgeschoben, ist noch immer unklar.
I: Warum bist du geflüchtet? Warum hast du dich dazu entschieden, deinen Heimatort zu verlassen?
H: Um in Sicherheit zu leben, besser zu leben, eine gute Zukunft zu haben und Freiheit zu haben und einfach leben ohne Stress, keine Angst. Und rumzulaufen, rumzugehen ohne Angst zu haben, dass irgendwas wird passieren. Weil man kriegt immer Angst, dass man verliert seine Freunde, seine Family. Und davor versucht man dann auch irgendwie wegzurennen, einfach ein besseres Leben zu haben. Und es gibt auch Menschen, die auch privat andere Probleme haben, wegen irgendwas. Es ist so, dass gibt zwei Soldaten[gruppen]: eins gibt Taliban und eins gibt die [afghanische Armee]. Und wenn du mit denen so Freund bist [Er zeigt auf eine Seite.], dann hast du Probleme. Wenn du zu denen Freund bist [Er zeigt auf die andere Seite.], dann hast du auch Probleme. Ja, und in solch einer Grenze zu leben und… Ja klar, die Menschen, die dort leben, die sind einfach mit solcher, oder ich auch, mit solcher Zeit erwachsen geworden. Aber irgendwann hat man die Nase voll und sagt: „Ah, so schön, dass die andere Welt ganz in Ruhe lebt und wir haben doch immer Stress.“ Dann jeder versucht abzuhauen, einfach wegzugehen, Land zu verlassen.
I: Bist du allein geflüchtet oder in einer Gruppe?
H: Ich bin mit meinem besten Kumpel geflüchtet. Dann sind wir nach Kabul, in Hauptstadt. Und von Kabul dann sind wir nach Nimrus – das ist an der Grenze zu Iran – dahin geflüchtet. Und da hat schon meine Mama Geld bezahlt, dass ich flüchten darf. Weil ich war noch Schüler, hatte auch kein Geld. Und von da, dann sind wir mit anderer Gruppe zusammen, fast 40 Leute, die alle auch wollten rausgehen, dann sind wir mit denen losgefahren Richtung Iran. Und ja von Iran dann hat schon gedauert fast ein Monat, 40 Tage so, bis wir in Türkei waren.
I: Wie hoch waren etwa deine Ausgaben während der Flucht? Wofür hast du Geld bezahlen müssen?
H: Da musste ich nur für meine Lebensmittel Geld zahlen. Um ein eigenes Handy zu benutzen, Geld zahlen. Aber den Rest hat schon meine Family bezahlt. Und da musste ich nichts zahlen, weil die schon bezahlt hatten.
I: Ok, das wurde also schon im Voraus gezahlt?
H: Das nennt man so äh… Es ist so momentan… Als ich damals gekommen bin, hab neuntausend bezahlt, Dollar, USA-Dollar. Und heutzutage ist Richtung elf- und zwölftausend USA-Dollar. Und als damals ich losgefahren bin, hat meine Mama achttausend bevor, dass ich losfahre den Menschen – Wie nennt man die? Die, die andere Menschen hier nach Europa bringen?
I: Die Schleuser?
H: Die Schleuser. Hat meine Mama dem Schleuser vorher Geld gegeben. Und wenn du vorher Geld gibst, dann wirst du hingebracht. Wenn du kein Geld gibst, dann bleibst du, egal wo du bist. Und wenn du das Geld da bezahlt hast, dann den Rest, alles zahlt der Schleuser aus seiner Tasche, weil der schon da Geld gekriegt hat.
I: Und wie kommt man zu diesen Schleusern? Also, wie knüpft man da Kontakt oder wie läuft das dann genau?
H: Das läuft so: Es gibt Menschen [Schleuser] in Bulgaria, dass die leben. Und es gibt, dass die in Türkei leben. Und es gibt manche Menschen, die einfach Name haben in jedem Dorf. Wenn du sagst: „Ja, ich will Ausland gehen oder flüchten“, dann sagt der: „Ah, ich kenne einen, der hat meinen Cousin oder meinen Bruder oder meinen Freund auch hingebracht und ich kann mit ihm für dich reden.“ Die [Schleuser], die in Afghanistan arbeiten, die verdienen auch dann so circa fünfhundert, vierhundert USA-Dollar pro Kopf und dann reden die mit [den Schleusern] in Türkei oder in Bulgaria. Und die bekommen dann Geld automatisch über den überwiesen. Und die [Schleuser] dann kennen sich mit dem Weg, mit dem allem schon aus, wer wo wie und wie können sie die Menschen zum Beispiel von Afghanistan, von Pakistan, von Iran nach Europa bringen oder… Es gibt viele Afghanen, die in Türkei leben, die zahlen nur bis Türkei und dann werden die da bleiben in Türkei. Aber die Menschen, die Schleuser, die das machen, die haben auch Richtung, soll ich sagen, die haben schon Macht. Die kommen mit jeder Situation klar, ja, die kommen mit Polizei klar, die kommen mit jeden Typen klar, die… Wenn die sagen: „Ich bringe dich hin, es kostet zwölftausend“, dann die bringen dich auch hin und ohne irgendwie kontrolliert du wirst oder… Ja, es kommt Zeit, dass du kontrolliert wirst oder von Polizei von einem Land gehalten wirst und dann werden die dich wieder hinschicken [Er zeigt auf eine Seite.], von welchem Land du gekommen bist. Aber die [Schleuser] werden dich wieder hinschicken [Er zeigt auf die andere Seite.]. Es dauert, bis du nach Europa kommst. Hin und her, bis du dein Ziel erreicht hast.
I: Welche Route hast du genommen?
Um Hassans Route besser nachvollziehen zu können, setzen wir uns gemeinsam vor einen Laptop und verfolgen die verschiedenen Stationen nach und nach auf einer Landkarte.
H: Von Dschalalabad bin ich mit dem normalen Auto wie Taxi, bin ich nach Kabul gefahren. Und da hab ein, zwei Tage gewartet, bis ich Schleuser gekannt habe und der Schleuser hat andere Leute mitgebracht. Weil die schicken meistens vier, fünf Leute, so zusammen. Und dann hat der Schleuser uns von hier nach Nimrus geschickt. Von Kabul dann sind wir hier nach Nimrus und Nimrus ist an der Grenze von Iran und Pakistan. Dann bin ich von Nimrus kurz nach Pakistan, da muss irgendwo eine kurze Grenze mit Pakistan sein. Und von Pakistan dann nach paar… einem Tag fast, dann sind wir nach Iran. Von Nimrus dann sind wir mit Auto und das Auto war von Schleuser, mit vielen Leuten auf ein Auto, fast 40 Leute. Und dann wir waren in Pakistan, haben da fast einen Tag, eine Nacht, sowas, gebraucht mit Auto. Von da sind wir dann – da ist Iran – da war so ein riesiger Berg und da sind wir von hier dann nach Iran gekommen. Und von Iran dann ganze Zeit laufen und ganz wenig Strecke mit Auto. Den Rest waren wir immer gelaufen bis äh Teheran, die Hauptstadt von Iran. Ja, und in Teheran dann haben wir gewartet paar Tage, bis die Schleuser wieder Weg gefunden haben und war alles in Ordnung, so drei, vier Tage. Und von hier dann sind wir nach Türkei mit Fuß gelaufen. Es gibt so eine große Strecke zwischen Teheran und Türkei und da sind wir alle mit Fuß gelaufen, fast zwei, drei Tage und Nächte. Und es sind Berge, das ist schon hart, ist schon viel. Und von hier dann sind wir nach Türkei. Von Türkei waren wir erst wo… Van nennen wir das, ob dir was so sagt, in Türkei, Van. Es ist erster Platz, wo man von Iran nach Türkei kommt, das nennen die Van. Wir haben dies Van genannt. Van ist die Stadt von Türkei. Wenn du da bist, dann musst du das Geld von Türkei zahlen, dem Schleuser. Oder der Schleuser kann… der Schleuser hat doch schon vorher Geld, aber der kann von der dritten Person das Geld nehmen und sagen: „Jetzt der ist da, musst du mir zum Beispiel 2.000 geben.“ Dann waren wir da und haben hier dann ein, zwei Nächte gewartet und danach mit Bus sind wir gefahren nach Istanbul. Und in Istanbul dann war ich auch paar Tage. Es war eigentlich ganz… Sind wir so rumgelaufen, rumgemacht, wie so fast in unserer Stadt selbst. Da hast du dir keine Gedanken gemacht, keine Sorgen wegen Polizei und so. Bis hier hatten wir immer Gedanken wegen Polizei, wo werden wir gehalten und zurückgeschickt. Und da in Istanbul dann konntest du auch arbeiten, frei laufen, Nacht, Tag. Wirst auch nicht von Polizei kontrolliert, wenn vielleicht mal kontrolliert, dann wirst du ganz normal kontrolliert, ob du Messer oder sowas dabeihast. Wenn nicht, wirst du wieder freigestellt, freigelassen. Denen war egal, ob du Reisepass hattest oder nicht. Die werden dich wieder freilassen und sagen: „Ok, schaff weiter oder geh weiter.“ Und dann von Istanbul sind wir nach Bulgaria und da ist dann… So ein bisschen sind wir erst mit Auto gefahren hin, so in die Nähe von Grenze. Und in der Nähe der Grenze dann sind wir mit Fuß angefangen zu laufen und da fängt dann auch Wald an, tief und hoch. Und da, wo schwerer Wald ist oder ganz voll dunkel, die Schleuser laufen da am meisten gerne hin, dass es nicht rauskommt. Wenn an der Grenze von Türkei Soldaten schauen, ist ganz normal, nichts wird passieren. Und die Bulgarier dann die lassen dich einfach nicht rein. Wenn die dich finden oder so, dann… Wenn du da an der Grenze bist oder nicht so mit Auto durchgefahren bist, werden die dich wieder schon in Türkei zurückschicken. Und dann, wenn du in Türkei zurück bist, dann wirst du auch von Soldaten von Türkei festgenommen und da haben die auch irgendwo ein großes, soll ich sagen, Haus oder Camp von Soldaten und von da wirst du dann nach Istanbul zurückgeschickt. Und dann in Istanbul, dann bist du wieder frei. Dann kannst du paar Tage warten, bis du wieder… Weil da läufst du Nacht und Tag, es kommt Regen, alles dazu, bist du müde. Und am Ende, wenn du auch so Schläge dazu bekommst, dann brauchst du schon paar Tage, um dich wieder zu erholen und dich so kräftig zu fühlen, dass du wieder den Weg oder die Strecke laufen kannst. Es ist schon viel Strecke, du brauchst fast drei, vier Tage und Nächte und da brauchst du… oder bekommst du immer Schlaf von vier, fünf Stunden und musst laufen die ganze Zeit, außer wenn die merken, dass alle kaputt sind, dann werden die auch eine Zwischenpause machen. Aber jeder versucht den Wald so schnell wie möglich durchzugehen. Und von Wald dann waren wir irgendwo auf einer Straße und von da dann kam Taxi. Ich rede vom zweiten Mal. Beim ersten Mal sind wir doch eh da gehalten worden von Polizei und hatten die auch alles mitgenommen und haben wir auch Schläge bekommen. Aber beim zweiten Mal dann sind… Wir waren irgendwo auf einer Straße und von da hatten die Taxis uns abgeholt. Und von da dann waren wir in Hauptstadt von Bulgaria.
I: Sofia.
H: Sofia. Dann waren wir in Sofia. Und in Sofia dann gab es eine Disko. Oben es war Disko und unten war ein Haus von dem Schleuser. Dann waren wir da in Sofia und haben wir gewartet. Und von hier dann sind wir wieder mit einem Bus, waren wir fast 30, 25, hab die Zahl vergessen, sind wir mit dem Bus nach Grenze von Serbien. Und die Strecke haben wir so ungefähr sechs, sieben Stunden gelaufen oder acht Stunden, da wir waren schon in Serbien. Und in Serbien dann sind wir, warte. Ich weiß nicht, es war Bus von Stadt, von Polizei oder hatten wir Ticket gekauft, jetzt weiß ich genau nicht und in Serbien dann war auch so fast alles normal, war keine so… Oder soll ich so sagen, in Serbien, was ich mir gemerkt habe, die haben uns immer freigestellt. Wir durften weiter hingehen, wenn wir es wollen. Ich weiß nicht, ob da die Polizei von denen hat unsere Fingerdrücke gehabt und uns mit Bus in Hauptstadt geschickt oder sind wir, selbst Ticket gekauft, in Hauptstadt gefahren. Es gibt zwei Möglichkeiten. Ich denke schon, dass die Polizei hat unsere Fingerdrücke und so und hat uns – Ah! – Da hatten die uns für zwei Tage so einen Ausweis gegeben, dass in der Zeit müssen wir das Land verlassen. Und sonst müssen wir da Asylantrag machen. Da hatten wir für zwei Tage Ausweis bekommen. Dann haben wir selbst Ticket gekauft nach Hauptstadt. Und in Hauptstadt dann kommt wieder unser Schleuser dahin, wo wir waren. Und der hat dann uns wieder mitgenommen, von Serbien. Und hat mit uns durchgemacht, dass wir irgendwie in Ungarn reinkommen dann. Und da in der Zeit bis Ungarn oder in Ungarn drin war dann auch unser Schleuser immer dabei. Und von Ungarn dann haben die nach schon lange… Tage später haben die Taxi gefunden, dass wir nach Österreich fahren konnten. Dann sind wir nach Österreich gefahren. Und von Österreich dann war ich mit Bahn nach Deutschland und irgendwo werde ich dann von Kontrolle, Fahrkartenkontrolle erwischt und der [Fahrkartenkontrolleur] hat Polizei gerufen und irgendwo hat mich Polizei aus dem Zug rausgestellt und dann war ich schon in einer GU irgendwo und Fingerdrücke und so wurden gemacht. Und dann war ich in Heidelberg, die hatten mich nach Heidelberg geschickt. Und in Heidelberg war auch dann eine bekannte GU, ein Haus, ein großes, von Soldaten. Ist riesig groß in Heidelberg. Wir waren da bei denen, soll ich sagen, zu Besuch.
I: Wie lange warst du dann in Heidelberg?
H: In Heidelberg war ich Richtung ein Monat, 40 Tage. Das war guter Platz in Asylheim, war Billard dabei. Man konnte Billard spielen, war Gym dabei. Dann fangen die Möglichkeiten und Leben sozusagen an und Beschäftigung einfach selbst, was du willst. Den Stress, der hinter dir war, dann konntest du bisschen langsam so versuchen den abzubauen, dass du da wieder dich besser fühlst und so. Und da hat das schon angefangen dann. 2016 war ich dann schon in [H.s Wohnort] und bis jetzt immer noch. [Er lächelt.]
I: Welche Technik beziehungsweise technischen Geräte hattest du selbst bei dir und wie hast du sie verwendet für die Flucht?
H: Ich hatte mein Handy dabeigehabt. Es ist eine große schwierige Flucht. Es gibt – von Asien nach Europa zu kommen – es gibt nun zwei Länder, ist eins Iran und eins ist Bulgaria. Und bei den beiden ist es so: Der Iran ist… Wenn die Soldaten dich sehen, dann meistens, hab auch solche Fälle gesehen, dass die schießen dich ab. Und in Bulgaria ist dann die Gegend… Die wissen schon, wenn 40 Leute auf einmal durch einen Wald reingehen, dann werden die die von Gruppe irgendwie – überall Soldaten und das merkt niemand auch, das ist mir auch passiert, zwei Mal – dann werden die alle von Soldaten festgehalten und wird alles, Geld und Lebensmittel, alles genommen, wird paar Mal geschlagen [Er schlägt in die Hände.] und dann wieder nach Türkei geschickt. Und da hatte ich mein Handy dabei und hatten mein Kumpel und der Schleuser auch dabei. Und wir haben vom Handy das Navi benutzt, um durch den Wald zu laufen. Und ich hatte da immer das Navi in der Hand, dass wir nicht irgendwie durch Wasser, einen großen Fluss, gehen oder nicht, dass wir am Ende irgendwo Probleme finden. Haben wir immer durch Navi geguckt, ob wir im richtigen Weg sind. Weil es ist Wald, ist alles Bäume, siehst du nichts und meistens läuft alles in der Nacht. Mitternacht laufen die los. Am Tag werden die irgendwo… haben wir geschlafen, einfach am Tag gewartet, bis es dunkel ist und dann sind wir wieder gelaufen.
I: Wie habt ihr die Handys unterwegs aufgeladen? Also gerade auch auf dem Weg im Wald?
H: Auf dem… Die hatten alle die… wie heißt die… Wir sagen… äh Batterieladegeräte. Wir hatten die Batterieladegeräte dabei.
I: Ah, also so Powerbanks?
H: So Powerbanks, ja, wir hatten die dabei. Ich habe die, meine alte, immer noch dabei. Die Powerbank hatten wir dabei und der Schleuser, der hatte, ich denke, drei oder vier Stück dabei, die vollgeladen waren. Wenn Handy leer war, dann haben die nur Powerbank wieder reingesteckt und als es wieder… Weil von Türkei nach Bulgaria, wir haben einmal drei Tage gebraucht und drei Nächte gebraucht und beim letzten Mal haben wir vier Nächte und vier Tage gebraucht, dann waren wir schon in Bulgaria, in der City. Und wenn man in der City ist, innen in der Stadt, dann ist wieder alles gut, alles in Ordnung. Ich meine mit in Ordnung, dass man nicht so viel Stress hat. Dann wirst du, die vierzig Leute werden verteilt. Jedes Taxi, das kommt, nimmt zwei, drei, vier Stück mit und dann hast du keine Angst, dass du wieder von Polizei gehalten wirst oder wieder abgeschoben wirst. Und dann haben die [Schleuser] in Bulgaria selbst äh so Heime, private, wo die dann die Menschen mit hinsetzen zuhause und dann am nächsten Tag werden die wieder weitergeschickt.
I: Wie war der Empfang mit dem Handy? Hat das immer gut funktioniert?
H: Nicht so immer gut. Es kommt Zeit, dass das hat nicht funktioniert oder hat geschrieben ‚Kein Signal‘ und sowas, aber meistens war gut. Wir haben durch den Weg gefunden.
I: Hattest du über das Handy dann auch Kontakt mit deiner Familie?
H: Ähm nicht so viel Kontakt mit Family, weil äh die kannten sich nicht mit dem Weg aus, wie er aussieht. Ja, die haben nur immer gemeint, wir sollen auf uns aufpassen und mindestens Lebensmittel mitnehmen und wo Ende ist, dass wir es merken jetzt ist in 100 % zu 80, 90 % unser Leben in Gefahr, dann müssen wir es absagen und wieder heimkommen. Und sonst… Es ist der Weg, den viele Menschen gegangen sind und viele sind gestorben. Ich hab mit meinen eigenen Augen viele Menschen gesehen, die einfach im Wald oder in den Bergen, die einfach um… die sich auf den Boden schmeißen und sind gestorben einfach. Und ich hab auch gesehen, dass im Iran, dass die einfach die Menschen von Bergen runtergeschossen haben. Die, die abgehauen, sind abgehauen und die, die vom Berg geschossen, die sind geschossen. Ja, es ist… Es ist einfach so, so sage ich, nicht leicht zu flüchten. Es ist einfach… Damals wusste ich es nicht, aber jetzt weiß ich es schon: Das sind 100 %, 80 % ist Lebensgefahr.
I: Wofür hast du dann das Handy sonst noch hauptsächlich benutzt beziehungsweise welche Bedeutung hatte es für dich auf der Flucht?
H: Die einzige Sache, die ich immer dabeihatte, war mein Handy. Und hatte ich auch Powerbank dabei, weil ich die Schleuser kannte und die Schleuser auch meine Family kannten. Weil die Schleuser, die sagen immer, wenn du losfährst: „Ist alles gut, alles in Ordnung, ist der Weg nicht schwer.“ Und dann hatte ich immer mein Handy dabei, wenn irgendwas ich merke, das ist jetzt Ende, dann rufe ich meine Eltern an und sage: „Der hat euch verarscht und es ist seine Schuld, müsst ihr mit ihm klarkommen.“ Und da hatte ich mein Handy immer dabei und hatte ich auch geladen, dass ich im Notfall mindestens meine Eltern anrufen kann, dass ich jetzt nicht mehr da bin und es ist jetzt Ende. Oder ich mindestens eine SMS schreiben kann oder wenn ich Zeit habe und ist die Möglichkeit da, dass ich mit meiner Family wieder telefonieren kann und sagen: „Ja, bin ich jetzt da und so viel muss ich noch weiter hingehen.“ Es ist… Ich war von meiner Family weg, aber in Wahrheit war ich auch bei denen ganz in der Nähe, weil ich mein Handy dabeihatte. Es wird andere Möglichkeit, wenn Handy nicht ging oder kein Signal da ist. Das war anderes Problem. Aber das Problem hab ich nie gehabt. Jede Zeit, die ich mit meinen Eltern telefonieren will, dann hab ich mit denen telefoniert. Es kommt Zeit von Afghanistan bis Österreich, dass ich Geld gebraucht habe und hab immer mit meinen Eltern gleichzeitig telefoniert, dass mein Geld ist fertig. Und dann haben die den Schleusern extra Geld bezahlt und der Schleuser hat uns dann in Bulgaria oder in Österreich Bargeld zurückgegeben, das wir dann selbst auch ausgeben können.
I: Welche Fortbewegungsmittel hast du wo benutzt? Du hattest gerade schon Taxi erwähnt?
H: Ja, wir haben Taxi benutzt. Wir haben so Busse benutzt. Das war hart, als wir Busse benutzt haben. Wir waren fast 40 Leute in einem Bus drin, alle Kopf mit Kopf zusammen. Und das Atmen war richtig schwer. Und da, wenn 40 Leute oder 35 Leute drin sind, dann es ist der Raum zu klein, dass man nicht richtig atmen kann. Und dann… Die machen auch richtig alles zu, dass keine Schreie, nichts nach draußen geht. Dass wenn die irgendwo auf der Straße stehen oder an der Ampel, dass nicht irgendwo jemand hört, dass in dem Bus so viele Leute drin sind, momentan. Aber haben wir schon paar Mal Bus benutzt in langen und in großen Strecken.
I: War der Bus dann auch von den Schleusern organisiert?
H: Die Busse werden alle von Schleusern sozusagen vorbereitet. Ja, und die Schleuser dann zahlen denen von den Bussen pro Kopf egal wie viel, ne, die sollen dann ausmachen. Und es gibt auch dann Busse-Schleuser, die dann mit Polizei handeln und dann werden die auch gar nicht kontrolliert und weitergeschickt.
I: Welche Technik zum Abwehren von Flüchtlingen ist dir auf deiner Flucht begegnet? Zum Beispiel Grenzzäune oder Grenzmauern oder Sonstiges?
H: Äh in Bulgaria gibt es im Wald überall Kameras. Und die beobachten den Waldweg, ob Menschen reinkommen oder nicht. Aber wie immer: die Mafia ist ein Stück voraus der Polizei. Die wussten auch schon, wo die Kameras sind, und wo sind nicht. Und dann sind wir immer oder… Als erstes Mal wir von Polizei gehalten wurden, dann haben die Schleuser zu uns gesagt: „Die haben neue Kamera da gemacht und das wussten wir nicht.“ Aber beim nächsten Mal sind wir einen anderen Weg gegangen und da ist einer vorweg immer und hat irgendwas in der Hand dabei, dass der alles durchsuchen konnte, wo Kamera und wo was ist. Und der hat uns den Weg vorbereitet und dann sind wir mit 40 Leuten und einem Schleuser vorgelaufen. Und der eine einzige, der war ganz vor uns, vielleicht so ein, zwei Kilometer, war der vor uns gelaufen.
I: Waren da auch teilweise nachts Scheinwerfer aktiv?
H: Scheinwerfer. An jeder Grenze in der Nacht. Von Iran bis Bulgaria. Die Grenze, die schwierige… [Pause] Wie nennt man die Lichter?
I: Die Scheinwerfer.
H: Die Scheinwerfer. Es war in Iran, es war in Türkei und es war in Bulgaria. Und da mussten wir immer aufpassen, dass wir durch das Licht äh Scheinwerferlicht kommen. Und dann sind wir 40 Stück so gesessen und der Schleuser war neben uns. Und wie das Licht an uns vorbei war, dann hat er gesagt: „Du und du jetzt geht.“ Und wenn die zwei gelaufen sind, dann haben die anderen gestoppt, bis die zwei weg waren von dem äh Scheinwerfer. Und danach noch zwei Stück und danach noch zwei Stück. Und so sind wir einmal in Iran gehalten worden. Fast die Hälfte, 20 Leute waren drüber, ich war auch drüber, und 20 waren da [noch nicht auf der anderen Seite der Grenze]. Dann sind wir von Polizei erkannt worden. Dann war vorne Polizei, war hinten auch Polizei. Da sind wir alle… da waren wir fast zwei Wochen im Gefängnis und wurden dann wieder nach Afghanistan geschickt. Und von Afghanistan sind wir dann wieder hergekommen.
I: Wie oft ist dir das passiert, dass du wieder zurückgeschickt wurdest?
H: Mir ist das zwei Mal passiert. Einmal ist in Iran passiert, dass ich nach Afghanistan geschickt wurde. Und einmal in äh Bulgaria passiert, dass ich von Bulgaria nach Türkei zurückgeschickt wurde.
I: Und haben euch da Grenzsoldaten oder Polizisten erwischt?
H: Nee, äh einmal die… also beides Mal, in Iran haben uns auch die Grenzsoldaten erwischt. Und durch das Licht in der Nacht wollten wir in eine große Stadt reingehen. Dann sind wir erwischt worden. Dann sind wir… Zwei Wochen waren wir im Gefängnis, dann war da ganz normale Polizei und die haben uns dann nach Afghanistan an unsere Soldaten übergeben. Und in Bulgaria waren auch die Grenzsoldaten. Und ja, aber wenn ich sage, die iranischen Soldaten waren noch… Obwohl die auch… Ich habe gesehen, dass die Menschen geschossen haben, aber haben mir nicht weh getan, mir selbst nicht persönlich weh getan. Aber die Soldaten an der Grenze von Bulgaria, die haben mein Geld genommen und Handy genommen, das einzige, was ich hatte. Handy genommen, unsere Rucksäcke, alles leer gemacht und uns wieder in Türkei geschickt. Und die Zeit, es hat auch geregnet und hatten wir sogar Glück gehabt, die 40 Leute alle, dass in der Zeit, die Soldaten von Grenze von Türkei kamen. Und die haben uns alle mitgenommen und dann von Grenze, die haben uns nach Istanbul geschickt. Sonst wären wir da… In der Mitte von Wald hatten wir gar keine Möglichkeit mehr, weil unsere… Es war nicht nur von mir, von allen, die haben alles, Handy, Geldbeutel, alles, die haben es mitgenommen, Lebensmittel, alles wirklich mitgenommen und uns wieder in Türkei an die Grenze geschickt. Und hatten wir gar keine Ahnung wohin und wieso. Und die Schleuser waren auch dabei, die haben gesagt: „Wir finden einen Weg, wir finden einen Weg.“ Aber es hat fast zwei, drei Stunden gedauert. Es hat nichts geholfen, die haben keinen einzigen Punkt gefunden, ja, in die Richtung laufen wir jetzt, weil meistens, wenn wir gelaufen sind, es war Nacht. Und der [Schleuser] kennt sich aus, aber es ist ein Unterschied mit einem GPS zu laufen oder einfach frei rumzulaufen. Und da ist auch immer die große Angst, dass wenn du irgendwo falsche Richtung gehst, dann es gibt die paar Leute, die dich dann mitnehmen, und dann musst du eh deine Family wieder anrufen und sagen: „Zahlt jetzt 20.000 oder 30.000 USA-Dollar nochmal, dass ich jetzt da bin oder sonst bringen die mich um.“ Und es gibt solche Fälle, einem von meinen Freunden ist das schon passiert und das ist schon bekannt.
I: Du hattest ja dann kein Handy mehr. Wie ging es dann weiter?
H: Es ging dann so weiter: Die Soldaten von Türkei von der Grenze haben uns mitgenommen und dann haben wir von denen mittags, oder Abend war, alle Essen bekommen. Und dann haben die gefragt, wollen wir wieder weiter nach Europa oder wollen wir zurück? Sogar bei denen hatte sich auch einer geschämt und gesagt: „Was wollt ihr alle nach Europa? Bleibt ihr doch hier, könnt doch auch in Türkei bleiben.“ Wir haben alle gesagt: „Wir gehen nach Istanbul zurück“, weil wir nichts dabeihatten. Und dann hatten die Soldaten für uns alle Tickets gekauft und so und uns alle nach Istanbul geschickt. Und da, in Istanbul waren unsere Schleuser. Wir wussten, wo die leben und wo die zuhause sind. Und dann sind wir hingelaufen. Unser Schleuser, der wurde schon von jemandem da angerufen, dass wir sind im Gefängnis und bald kommen wir jetzt raus. Weil die wussten schon, dass die Soldaten von Grenze von Türkei, die werden nicht die Menschen lange halten, vielleicht ein Tag, halber Tag. Da wird wieder alles, Lebensmittel, alles vorbereitet, um uns dann nach Istanbul weiterzuschicken. Da war dann kein Problem. Dann hat mir da nochmal meine Mama angerufen und sie hat mir Geld bezahlt, dann habe ich mir neues Handy gekauft und Geld mitgenommen. Weil auf der Flucht, es ist die einzige Sache, die dich so bisschen schützen kann: Es ist einfach Geld, das du jede Zeit benutzen kannst. Das gleiche ist passiert mir auch in Iran, als unser Auto angehalten und von uns alles Geld und alles mitgenommen wurde, aber dann haben die uns weiterfahren lassen. Und wenn ich in einem Heim war, wo die Schleuser gewohnt haben, dann habe ich die Schleuser gefragt, ob ich meine Eltern anrufen kann. Dann haben sie gesagt: „Ja klar, wir geben euch Handy“ und so. Dann haben die angerufen und dann hat da meine Mama auch Geld bezahlt. Habe ich mir da – von Schleuser kannst du auch Handy kaufen – und dann habe ich mir auch schon ein Handy gekauft. Und es ist auch – Ich habe von Freunden erzählt bekommen, dass die Schleuser auch mit den Typen Handel machen und die sagen: „Ja, wir kommen jetzt in den Weg, mindestens jeder hat zwei-, dreihundert USA-Dollar dabei, hat Handy dabei“ und [wenn die Typen] ein bisschen schimpfen, dann werden die [Leute auf der Flucht] alles abgeben, weil die eh Lebensgefahr haben und haben Angst und wollen die auch nicht zurückgeschickt werden und können die ja auch nicht irgendwo hingehen. Es ist, denke ich, jetzt so, dass so läuft, aber es ist schwierig, wenn vor 40 Leuten nur drei Personen stehen und sagen: „Gib alles“, ne, es ist eine Schwierigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich gegen 40 Leute mit zwei meiner Kumpels stehe und sage: „Gib alles.“ Aber mein Kumpel sagt, die sind schon genervt, die sagen nichts, die wollen abgeben. Dann kann auch ein Mensch hinstehen und sagen: „Gib alles.“ Und so dann… Ja, in Bulgaria habe ich alles abgegeben, dann hat meine Mama nochmal Geld beschafft. Ich denke, sie hat noch plus 3.000 gebraucht von Afghanistan bis Deutschland, das ich selbst ausgegeben hab und meine Mama extra bezahlt hat. Sonst, wenn normal alles läuft, wie die Schleuser sagen, es kostet 8.000. Damals hat es gekostet.
I: Glaubst du, es wäre überhaupt möglich ohne Geld und ohne Handy zu flüchten?
H: Denke ich nicht. Es wird dann die Lebensgefahr noch höher, wenn du gar kein Handy dabeihast. Und weil es gibt schon Situationen, dass du mit deinen Eltern telefonieren sollst, dass die mit den Schleusern reden. Weil die Schleuser, die in Türkei und in Bulgaria oder wo sitzen, die kennen wir nicht. Wir kennen den Menschen von unserem Dorf, von unserer Stadt, der uns mit denen bekannt gemacht hat. Dann können die [Eltern] da in die Stadt gehen und sagen: „Du hast uns so, so, so versprochen und wenn jetzt schiefläuft, dann bist du in unserer Schuld, dann du kriegst Ärger und du kriegst die Anzeige.“ Und dann kann der sich auch kümmern um die [Schleuser], die in Türkei oder in Bulgaria sitzen: „Aha, ihr habt mir so erzählt, die Family kommt jede Zeit zu mir und klopft.“ Weil es ist schon Zeit passiert, dass ich meinen eigenen Bruder angerufen habe und sage: „Geh mal hin und der hat uns verarscht, weil ist einfach schwieriger Weg, was der erzählt, was wir die ganze Zeit rumlaufen.“
I: Es war also ein längerer Weg als vorher abgesprochen?
H: Ja, verarscht, indem die sagen, du läufst drei oder vier Stunden und dann läufst du auf einmal sechzehn, fünfzehn Stunden. Und kannst du auch nicht sagen: „Ich laufe nicht“, weil dann sagen die: „Dann bleib hier, wir gehen weg.“ Dann laufen die alle weiter und das nenne ich verarschen, weil es ist lügen, wenn du einem die Möglichkeit gibst: „Ja, es ist drei Stunden“ und der dann denkt: „Ah, drei Stunden kann ich laufen.“ Und wenn die auf einmal 15 Stunden laufen und ist auch nicht nur eine große Strecke, 15 Stunden und dann ist weg. Dann wirst du einen Tag oder eine Nacht schlafen, dann läufst du wieder weiter. Und es ist dann viel und dann hast du auch nicht die Vitamine, die Möglichkeit, dass du sie jeden Tag essen kannst. Dann hast du mindestens Brot dabei und irgendwas in Dose in deinem eigenen Rucksack und der hat nicht so viel Vitamine, dass du fast einen Monat oder 20 Tage immer durchlaufen kannst.
I: Und dein Bruder hat das dann von Zuhause aus geklärt?
H: Dann mein Bruder ist zu dem Schleuser gegangen, den bezahlt hat meine Mama. Mein Bruder, der hat gesagt: „Hör auf, du hast so, so versprochen.“ Weil das Geld wird dem Menschen auch nicht bezahlt in Hand, das wird mit einer – wir sagen Sarafi [Buchstabierung unklar]. Sarafi ist bei uns wie eine Bank, so ein Laden. Dann gehen die zu zweit hin und sagen: „Ja, ich lasse dir 8.000 hier. Wenn mein Sohn ist in Türkei, zahlst du ihm 2.000. Wenn der ist in Bulgaria, zahlst du noch 4.000. Wenn der in Europa ist, dann zahlst du die 8.000 komplett. Und wenn mein Sohn nicht da gewesen ist oder wird zurück abgeschoben oder irgendwas, dann wirst du mir mein Geld zurückgeben. Das Geld gehört dem [Schleuser] nicht, das Geld gehört ihm dann, wenn mein Sohn ist in Europa oder in Türkei oder in einem anderen Land.“ Jedes Land hat seine Kosten. Jedes Land kostet so viel: Iran 1.000, Türkei 2.000 und Bulgaria 3.000, 4.000. Und jedes Mal wenn der Schleuser Geld braucht, dann ruft der an und sagt – weil der Schleuser hat doch 40 Leute dabei – und sagt, er braucht 30.000, dann wird der da 30.000 geben, aber dann der hat das meiste Geld dabei. Und wenn mein Bruder hingeht und sagt – oder haben die auch Streit gehabt: „Wenn das so läuft und mein Bruder wird genervt oder irgendwas, der wird verletzt, dann werden wir dir eine Anzeige in Polizei stellen, dass du ein Schleuser bist und hast du uns so versprochen und so ist gelaufen.“ Manchmal hat es auch geholfen und manchmal hat es auch nichts gebracht. Und dann hab ich mir auch mal gedacht, ich bin selbst durchgelaufen, muss ich jetzt auch selbst durchatmen. Nicht, dass wegen mir meine Family da mit den Schleusern Probleme findet und richtig irgendwas schiefläuft. Weil ich bin ja auch selbst schuld, dass ich in so einer schwierigen Situation bin. Wenn ich meinem Bruder, meiner Mama das erzähle, dann werden die auch so wieder genervt. Dann an mancher Stelle hab ich einfach aufgehört und bin durchgelaufen. Ich habe gesagt oder jeder hat so gesagt: „Die 40 Leute, die machen, wir machen es auch mit.“
I: Hattet ihr neben euren Handys auch noch andere technische Geräte dabei? Hast du zum Beispiel etwas von Drohnen mitbekommen?
H: Was meinst du mit Drohnen?
I: Die fliegenden Kameras.
H: Ja, Drohnen hatten die Schleuser dabei. Die hatten die Schleuser dabei, die kleinen, die mit äh… [Er gestikuliert mit den Händen eine Art Fernbedienung mit Tasten zum Drücken.] Die hatten auch manche, die mit Handy gelaufen sind. Und hatten wir alle Taschenlampe, hatten wir fast alle dabei. Von Schleuser durften wir es nicht benutzen, aber wenn Gefahr, Lebensgefahr, kommt, dann durften wir es benutzen. Die waren richtig stark. Und da durften wir ganz kleine Scheinwerfer anmachen und wieder ausmachen. Und da war dann die Gefahr, dass ich da stehen geblieben oder irgendwo in ein Loch gefallen bin oder in Wasser gefallen, weil das einfach Wald ist und hoch und tief, hoch und tief. Dass wenn du durch die Bäume läufst, dann konntest du das Licht anmachen, dann wusste jeder, dass da in der Ecke was ist, schiefgelaufen ist. Dann werden die Schleuser hin zurückkommen und dann werden sie dich fragen: „Was ist los?“
I: Wurde mit den Drohnen nachgesehen, ob der Weg frei ist?
H: Die [Schleuser] haben kontrolliert, wie weit die Polizei vor uns ist. Und wenn wir da nicht so weit in Bulgaria sind, dann können wir auch zurückrennen in Türkei, weil es da nicht so eine starke Grenze gibt. Da gibt es nur aus Metall, die Dorne haben. Und da konnten wir schon von unten oder von Mitte oder so die rausziehen, die, die dich verletzen und drüber gehen. Weil jeder weiß, wenn du von Soldaten von Bulgaria von Grenze gehalten wirst, dann verlierst du mindestens alles, was du dabeihast. Das verlierst du auf jeden Fall. Und die Schläge und so da kommt, eins, zwei dabei und dann wirst du da zurückgeschickt nach Türkei. Und da hatten die immer [durch die Drohne] durchgeguckt, wie weit die Polizei einfach vor uns sind und wie weit sind wir in der Mitte vom Wald und so. Haben die alles immer geguckt. Weil es ist, wie wir es wissen, es ist schwierig einen Wald durchzulaufen und die Soldaten von Grenze, die suchen dich auch genau, wo du reinläufst, die kennen sich auch gut aus. Obwohl es ihr eigenes Land ist, obwohl die alle Wege kennen, kommen die Menschen aber trotzdem drüber, weil die Schleuser, soll ich so sagen, schlauer sind als die. Die wissen, was die machen, dass die Polizei die nicht finden kann. Und so läuft das bei denen. Die hatten schon viele Möglichkeiten dabei die Schleuser mit viel… Die hatten viel Technik dabeigehabt.
I: Was für Technik hatten die sonst noch dabei? Weil du gerade sagst „viel Technik“?
H: Die hatten so Brillen dabeigehabt, mit denen sie Menschen erkannt hatten, von weit weg. Die hatten noch ein Programm im Handy gehabt, dass wenn die durch Wald so rumgemacht irgendwie und dann wird der Wald durchkennt, ob da irgendwo ein Mensch versteckt ist oder nicht und sowas. Und die konnten richtig von weit weg… Der Mensch, der vorne war, der hat immer durch jeden Baum, jede Sache durchgeguckt, ob da irgendwie irgendjemand oder Soldaten versteckt sind oder nicht. Und mit dem Handy konnten sie schauen. Und die haben uns erzählt, wenn das Handy das Herz sieht oder das Gesicht sieht oder die Kleidung sieht, dann zeigt es sich. Da weiß er [der Schleuser], dass da irgendwas sitzt oder irgendwie jemand da ist. Der Schleuser, der vor uns war, der hatte schon paar Techniksachen dabei.
I: Wie seid ihr in die Türkei gekommen?
H: In die Türkei zu kommen, das war schon Problem. Als ich in Türkei kam… Als ich nach Iran an erste Grenze oben in Berge – weil wir haben Berge zusammen mit Iran oben. Dann ist nochmal Berge, ist nochmal Berge und dann sind wieder große Berge und die in der Mitte gehören Afghanistan, gehören Iran. Und da unten, da sitzen die Soldaten von der Grenze von Iran. Und in der Zeit waren wir, ich denke, fast 120 Leute. Und dann haben die uns gesagt, wir sollen runterkommen, aber sind wir nicht runtergekommen. Wir wollten zurück in unser eigenes Land gehen, weil es gibt ein Problem, das ist: wir sind nicht so Freund mit Iran und Iran ist nicht so Freund mit uns. Wir wissen schon, was sonst los ist, wenn wir in Gefängnis kommen oder in Gewalt von Iran-Soldaten. Dann haben die von unten auf die Menschen oben geschossen und sind schon ein paar runtergefallen. Manche getroffen im Körper im Fuß, manche in Hand, manche ins Herz. Aber da habe ich nicht genau geguckt, wer wo geschossen ist. Die haben geschossen und jeder hat versucht so abzuhauen. Es ist… Wenn ich persönlich sage, es war die schwierigste Flucht, dass ich von Iran nach Türkei kam. Das war die schwierigste. Weil da war die Lebensgefahr viel höher als in den anderen Ländern. Weil in den anderen Ländern war Schwierigkeit, aber war keine Lebensgefahr und im Iran war schon viel Lebensgefahr.
I: Wie war das an den Grenzen, an welchen Stellen gab es Mauern und Zäune? Oder auch Stacheldraht?
H: Stacheldraht war an der Grenze von Türkei und Bulgaria. Und noch schlimmere Stacheln waren, ich denke, in Ungarn. Die hatten so hoch gemacht, von oben bis hier.
I: Das war alles voll mit Stacheldraht?
H: Das war voll mit Stacheln drauf. Und da… Ich denke, das ist Richtung Ungarn. Ich denke schon, das war da. Und da bin ich so durch eine Wand, sind wir durchgekommen. Die Schleuser haben es geschnitten. Die hatten Schere dabei und die haben es geschnitten. Die haben mindestens so ein Loch gebohrt. Und die hatten auch äh eine lange Treppe. Haben sie hingestellt.
I: Eine Leiter?
H: Eine Leiter, eine Leiter. Die hatten eine Leiter dabei, so [Er zeigt mit der Hand etwa auf Tischhöhe.]. Man konnte sich hochziehen, ganz hoch. Und da haben wir fast zehn, fünfzehn Jacken darüber geschmissen und sind wir manche von da hoch da runter und manche die hatten Loch gehabt. Das Loch war für die alten Menschen oder die Frauen. Da war der Schleuser daneben gestanden. Weil in fünf oder acht oder in zehn Minuten… Die geben irgendwie Zeit oder wissen die schon, wann die [Grenzsoldaten] nochmal zur Kontrolle kommen oder sowas. Die geben Zeit und die sagen vorher im Wald: „Wir gehen so da: Ihr, ihr, ihr, ihr, ihr geht durch das Loch und ihr, ihr, ihr, ihr, ihr, alle, die jung und kräftig sind, ihr geht hoch und springt runter.“ Und dann hatten die die Leiter hoch hingestellt und alle Jacken hingestellt und von da haben sich alle runtergezogen und dann nach ein paar Kilometern, dann sind wir wieder stehen geblieben, bis es dunkel war richtig.
I: Gab es auch einen Moment, in dem du dir überlegt hast, doch wieder umzukehren und die Flucht abzubrechen?
H: Das habe ich mir schon am Anfang im Iran gedacht: „Ich soll lieber nicht.“ Aber mein Kumpel, den ich dabeihatte, der hatte richtig Schwierigkeiten in Afghanistan. Der hat gesagt: „Ist doch eh egal, ob wir zurückgehen oder wir wieder hingehen. Da haben wir ja auch Schwierigkeiten und gehen wir wieder lieber. Wir haben eh nicht Kinder dabei und haben ja auch keine Frau, dass wir hinter uns sagen ‚Ah, die Armen, die bleiben ohne uns‘. Ist egal, wir gehen, ob… Es gibt zwei Sachen: Wir haben ein besseres Leben oder sind wir einfach irgendwo gestorben oder umgebracht worden, ist egal.“ Dann sind wir wieder weiter. Und damals als ich in Bulgaria gehalten wurde von Polizei, da hatte ich mir auch gedacht, ich soll es abbrechen und von Türkei wieder heimgehen, weil es hat mir richtig wehgetan, fast drei Nächte und drei Tage rumzulaufen und es regnet. Und in solche Situation kommst du, dass du einfach beleidigt wirst und deine alle Sachen abgeben musst. Ich meine, man kann auch schlechte Sachen oder böse Sachen so machen, dass jemand nicht verletzt wird, ohne gutzumachen. Ich meine, die haben uns da 40 Leute alle nackt gemacht. Alle T-Shirt, alles aus und dann haben sie dich kontrolliert, alles mitgenommen.
I: In Bulgarien?
H: In Bulgaria. Als ich die Zeit erlebt habe, hab ich mir gedacht: „Nein, ich soll zurückgehen.“ Aber dann gab auch nicht, soll ich sagen, daheim so ein friedliches Leben, dass ich sage, ja, es lohnt sich nicht. Da mindestens kann ich leben und gut, hab keinen vollen Stress. Aber es war eine Situation, wenn du nach hinten geguckt hast, dann war auch Schwierigkeit und Probleme. Wenn du vorne geguckt hast, dann war aber auch Schwierigkeit und Probleme. Aber vorne hatte ich eine Hoffnung, dass ich nach paar Monaten vielleicht könnte dann besser leben. Und nach hinten, da wusste ich nicht, wie lange es läuft so in Afghanistan noch weiter. Ob ich wieder mein eigenes Leben so in Frieden leben kann oder nicht. Dann deswegen, mit solcher Situation, haben wir versucht, zu kämpfen, um weiterzukommen.
I: Kannst du nochmal genauer auf die Schwierigkeiten in Afghanistan eingehen? Du meintest auch, dass dein Freund da besonders große Schwierigkeiten hatte?
H: Mein Freund, der hatte… Vor einer Woche ist sein Onkel geschossen worden. Weil sein Onkel hatte mit Soldaten geschafft in Polizei von Afghanistan. In Afghanistan ist bei uns… Wir waren noch jung. Wir wollten auch etwas Macht haben oder was wir wollen machen, ne und sowas. Wer was sagt, das war uns scheiß egal. Und es war so, wenn wir mit den, soll ich sagen, mit den Freunden oder den Kindern der Soldaten rumgemacht haben oder so Freund waren, dann hatten wir Probleme mit den anderen und wenn wir mit den anderen so Freund waren oder wollten wir was machen, dann hatten wir Probleme mit denen. Es ist Leben. Ist ganz normale Leben für die Menschen, die nicht die andere Welt kennen. Die Menschen, die die andere Welt kennen, wie der Mensch hier lebt, wenn die es genau wüssten, dann würden die alle flüchten, herkommen. Weil ich sage nicht, es ist nur mein Problem, ne. Das Problem hat jeder. Aber die, die Geld haben – ich bin auch nicht reich, wir sind auch nicht Family so reich, wir sind ganz normale Family – aber die, die Geld haben ein bisschen [Pause] von denen haut jeder ab. Weil die wissen schon, was für ein Leben es ist, wenn du morgens wegfährst und hast du gar keine Ahnung, ob du heim zurückkommen kannst oder nicht. Ja, und was ist ein Problem, dass wenn es ein kleines Problem gibt, dass dich jemand abschießt. Es ist einfach die Sache, die wenn sich man denkt und man vorstellt, ne und man hier ansieht, wie hier aussieht. Ich kann es auch so rechnen durch äh… [Pause] Feuer und Wasser. Jemand will nicht in Feuer leben, jeder versucht zum Wasser hinzugehen. Ich hatte selbst kein Problem. Aber ich wusste es, wenn ich was mache, dann habe ich Probleme. Und das war mein großes Problem, dass ich nicht [Pause] machen konnte, was ich wollte. Das war das einzige große Problem. Und dass ich unzufrieden war und hab Freunde verloren, Bekannte verloren. Es ist dann, wie man, denkt sich man: „Bevor mir selbst was passiert, gehe ich auch weg.“
I: Also hat dir die Freiheit gefehlt?
H: Es ist… Für mich ist… Das einzige Problem war die Freiheit. Es war die Freiheit nicht da und es war auch der Frieden nicht da. Wenn du durch Stadt läufst, es fällt Bombe. Dann siehst du, 43 Leute sind umgebracht. Obwohl die gar nichts getan haben. Und das tut weh, wenn man einen Kumpel oder seine Family verliert oder einen, den man eben liebt. Dann denkt man sich, es ist die Zeit, dass ich weggehe, weil ich hab die Möglichkeit. Ich kann es zahlen. Es ist meine Heimat, ich liebe es. Ich liebe es heute auch von ganzem Herzen. Und ich weiß auch, wenn es besser wird, ich meine Freiheit habe und ich selbst machen kann, was ich will, werde ich sofort zurückgehen.
I: Hast du noch Familie in Afghanistan?
H: Von meiner Family, ich bin der einzige, der ich hier bin. Und wenn ich jedes Mal mit meiner Mama telefoniere, es ist die erste Frage, die sie stellt: „Wann kommst du zurück?“ Es ist die erste Frage, die sie immer stellt. Oder „Wie ist es gelaufen?“ Und wenn ich sage: „Was?“, dann sagt sie: „Wann kommst du zurück?“ Oder: „Wie weit bist du?“ Dann sage ich: „Jetzt kriege ich Aufenthalt, komme ich zurück.“ „Jetzt kriege ich Aufenthalt, komme ich Urlaub.“ Die letzten sechs Jahre schiebe ich hin und her. Obwohl ich selbst genau weiß, ist noch die Möglichkeit nicht da. Aber ich kann zu ihr auch nicht sagen: „Ich kann nicht kommen.“ Weil sie ist auch genug alt und dann nicht, dass sie sich Sorgen macht. Weil ich bin auch der Jüngste in Family. Und ich hab von ganzem Herzen meine Mama immer geliebt und ich liebe sie immer noch. Meine Mama und mein Family hat mich auch immer von Herzen geliebt und die lieben mich immer noch. Aber die einzige, die ich immer vermisse, ist meine Mama und sie vermisst mich auch. Wenn wir telefonieren, ist es die erste Frage: „Wann kommst du?“ Und es ist schon hart, wenn du von heute auf morgen, es jedes Mal verschiebst, die Sache, die gar nicht stimmt. Wenn was stimmt, dann, wenn du es auch verschiebst, dann sagst du: „Okay, wenn es heute nicht klappt, dann klappt es morgen.“ Und ja, ich hoffe es, dass es mal klappt, dass ich wieder hingehe und meine Family besuche. Aber schauen wir, wie es weitergeht.
I: Du hattest schon erwähnt, dass im Iran auf euch geschossen wurde. Gab es noch andere Situationen, in denen du oder auch andere Personen zu Schaden gekommen sind?
H: Ich habe es nicht so erlebt, dass die vor mir… was denen passiert ist. Aber ich habe Menschen auf dem Boden einfach sterben sehen, dass die sind gestorben. Und ein so ein Junge, der war Richtung 20, 21 oder 18, der war auch Afghane, der ist auf dem… im Wald, der ist… den haben wir hingelegt. Und einmal hatten wir einen alten Mann mit einer alten Frau gesehen, dass die… aber die waren schon alt, ziemlich alt. Das war schon… [Pause] Es war schon hart, dass die Menschen einfach… Ich habe mir selbst gesagt [Pause], dass sie… dass Gott hat die Menschen erschaffen und sagte, das ist das Bessere, was er erschaffen hat. Ich sage, es ist das Schlechtere, was der erschaffen hat. Weil die Menschen, die andere Menschen so behandeln, wie ich es selbst erfahren habe – werde ich niemals sagen, dass Menschen besser als Tiere sind. Wenn mir persönlich jemand die Frage stellt: „Wer ist besser, Tier oder Mensch?“ Werde ich 100 % sagen: Tiere. Weil mindestens viele Tiere behandeln ihre anderen Tiere gut. Der Wolf ist das starke Tier im Wald. Der beißt die anderen Wölfe nicht. Die beißen irgendwas anderes. Aber Menschen sind die einzigen, die schießen andere Menschen, die bringen andere Menschen um. Die machen einfach nur gegeneinander, fertig. Es ist… Und der Weg, was ich alles erfahren habe, war so, dass ich eins sage, es ist… für mich persönlich – ja, klar, du bist auch Mensch, ich bin auch Mensch – aber für mich persönlich, ich finde Tiere besser, viele Tiere, dass die viel viel besser als die ganzen Menschen sind.
I: Hattet ihr dann vorwiegend Probleme mit den Grenzsoldaten? Oder auch mit anderen Personen?
H: Wir hatten mit iranischen Soldaten Probleme und mit [Soldaten von] Bulgaria. Wir waren im Gefängnis im Iran. Da hatten wir Wasser bekommen zum Trinken, das hat komplett nach Benzin gestunken. War gar kein sauberes Wasser. Das Wasser, soll ich sagen, war halb Wasser, halb Benzin oder war… Es hat richtig gestunken. Ich sage, wenn du jemanden nicht ins Gefängnis mitnehmen kannst, dann lass doch die einfach frei. Dann besorgen die doch selbst sich alles. Wenn du denen nicht geben kannst, dann musst doch du auch von denen nicht nehmen. Und ich sage auch das Gleiche über Bulgaria. Wenn die uns nicht was geben konnten, die dürfen doch auch nicht von uns nehmen. Weil das, was ich, wir hatten, für die war das ein bisschen vielleicht. Aber in der Zeit, in der ich mein Handy hatte und hatte, ich denke, 80 oder 90 USA-Dollar dabeigehabt und die abgegeben. In der Zeit, das war mein ganzes Leben, dass ich die zwei Sachen dabeihatte. Ja, ich kann mit Handy mit Family telefonieren und mit Geld kann ich mir was äh [Pause] äh Guthaben kaufen oder Lebensmittel, was ich brauche, die Sachen kaufen. Weil wenn wir jedes Mal beim Schleuser drin waren zuhause, dann hat der immer kleinen Laden gehabt da, mit Lebensmitteln. Und da haben wir uns alles gekauft, was wir brauchen. Und da hatten wir uns den Rucksack wieder vollgemacht. Und in der Zeit war das und ich muss so fragen, was wäre, wenn in der Zeit nicht die Soldaten von Türkei gekommen wären. Wir waren drei Tage, drei Nächte gelaufen. Ja, nach vorne konnten wir nicht wieder laufen, weil die Soldaten wissen schon, dass wir sind da und die warten, was wir machen. Da können wir nicht hin. Es ist so, wenn du kein Benzin hast, kannst du kein Auto fahren. Und wenn du keine Lebensmittel hast, dann kannst du, Mensch nicht laufen, kannst du paar Stunden laufen. Irgendwann legst du dich hin. Ich bin selbst sportlich, damals war ich auch sportlich, aber bei uns gab es Menschen, die Zucker hatten, die Hochdruck hatten. Und mit solchen Menschen oder mit alten Menschen – dass die einfach respektlos mit alten Menschen so umgehen. Es ist einfach nicht die Menschlichkeit, fehlt einfach. Von hier bis hier fehlt einfach die Menschlichkeit. Ja klar, was wir machen, es ist auch nicht – das sage ich, das gebe ich zu – was wir machen, ist auch nicht in Ordnung. Dass man in ein anderes Land einfach ohne Reisepass geht. Aber es kommt Zeit, dass du es musst machen. Und ich meine, wir leben auf der Welt und die ist einzige Welt. Die mir gehört, die dir gehört, die haben wir uns selbst gemacht. Wenn ich jedem sage: „Zeig mal deinen Vertrag, wo hast du, dass [die Welt] dir gehört.“ Weil ich glaube an Gott und sage, der hat das erschaffen, die ganze Welt, es ist die gleiche. Und die ist von Menschen, von Tieren, von allen. Sind wir gleich bei Menschlichkeit. Die Menschen haben wie viele Tiere bis jetzt umgebracht? Wie viel Wald haben sie sich einfach umgemacht? Weil einfach die Menschlichkeit fehlt. Und wer einmal das Gefühl hat, dass die Menschlichkeit fehlt, ich denke nicht, dass der wieder jemals sagt, dass die Menschen besser sind als Tiere. Und so es war. Zeit ist gelaufen. Ist vorbei jetzt. Aber die Erfahrung und die Situationen kann man nicht einfach vergessen. Wenn man die Augen zumacht und denkt: „Wo war ich und wie war ich?“ Und der Mensch von Gott her so gebaut ist oder erfunden ist, dass der einfach alles da [Er zeigt auf seinen Kopf.], wo er sozusagen alles merken kann. Der kapiert alles, auch Gutes und auch Schlechtes. Und ist auch so gebaut ist, dass das Gute wird man schnell vergessen, aber das Schlechte, das bleibt immer da. Wenn jetzt meine Family oder mein bester Kumpel irgendwann sagt: „Ich werde auch nach Europa kommen“, dann werde ich immer sagen: „Hör auf. Von da bis du da kommst, willst du nicht mehr erleben. Es ist so eine schwierige Situation.“ Ich bin gekommen mit meinem Kumpel, weil ich nie erzählt bekommen hatte [Pause] wie da alles wirklich ist. Und wenn ich es jetzt weiß, dann werde ich jedem Kumpel sagen: „Hör auf zu kommen. Bleib einfach daheim, egal, leb. Das ganze Afghanistan sind fast 40 Millionen, die leben, leb du auch.“ Aber das Leben, das du paar Monate, acht oder neun Monate erlebst, das ist so, dass du einfach – nimm es nicht persönlich – dass du einfach die Menschen hasst und sagst, was für ein Dummkopf sind die einfach. Obwohl die alle Menschen sind vielleicht nicht so. Obwohl die alle Länder sind vielleicht nicht so. Wenn ich jetzt persönlich sage, ich hasse Iran, ich hasse Bulgaria. Ich weiß, dass die ganzen nicht so schlecht sind. Ja, aber wer mir wehgetan hat, die waren schlecht einfach. Und egal, wie du deinen Kopf rummachst, dass der Rest gut ist, das vertraut dein Kopf einfach nicht, das glaubt der nicht. Der sagt, du hast doch die Situation einfach selbst erfahren, wie die einfach mit den Menschen umgegangen sind. Und ich sag doch, ist doch in Wahrheit wirklich egal, ob du Frau warst, oder jung warst, oder alt warst oder du jung warst. Oder ich meine, die Schleuser, die sagen das eine und schmeißen dann aber 40 Leute in einen kleinen Bus rein. Nur um Geld zu verdienen. Es ist… [Pause] Ich hoffe, dass es besser wird.
I: Gab es auf der Flucht jemanden, dem du vertrauen konntest?
H: Vertrauen konntest du nur deinen Freunden, die du dabeihattest. Denen konntest du vertrauen. Dass wir versuchen beide zusammen, also als ich mit meinem Freund zusammen unterwegs war – der ist jetzt in Griechenland – als wir zusammen unterwegs waren, sagten wir: „Wir bleiben bis Ende zusammen, egal was wird passieren.“ Und das ist auch schlimmer, wenn du ganz alleine bist unterwegs. In Gruppe, wenn du auch in 40er-Gruppe bist drin und du fühlst dich alleine, es ist noch schwieriger. Weil mit Freunden ist es so: Wenn du läufst und bist du richtig müde, kannst du deinen Rucksack ihm geben und sagen: „Nimmst du den auch mit.“ Ich hab den Rucksack von meinem Kumpel mitgenommen. Weil ich wusste es, dass der nicht die Kraft hat. Der ist total, soll ich sagen, fertig und wenn der jetzt noch müder wird, dann sagt er… Weil bei uns… Als wir von Türkei nach Bulgaria gekommen sind, hab schon Family gesehen, dass die einfach rumgestanden sind, alle. Als wir kamen, dann haben wir mit denen geredet, weil die auch Afghanen waren. „Was macht ihr da? Sind wir Mitte von Wald.“ Da sagten sie: „Ja, wir konnten nicht weiterlaufen und die Schleuser, mit den anderen, sind weitergelaufen. Sind wir dageblieben.“ Jetzt rechne ich mal, wenn wir nicht da gekommen wären, was würde die Family machen mit drei Kindern? Wie würden die einfach rauskommen aus dem Wald? Ja, [leise, schaut nach oben] das ist schon Zeit vorbei.
Es folgt eine kurze Unterbrechung, in der überprüft wird, ob die Aufnahme noch läuft.
I: Gab es umgekehrt auch jemanden, der euch auf der Flucht geholfen hat?
H: In Serbien hatten die uns geholfen. Die Soldaten waren sehr nett. Ähm, was war geholfen, geholfen es war… Bei uns war… Das war für uns richtiges Helfen, wenn wir nicht von jemandem geärgert worden sind und die nicht von uns was genommen haben. Und uns einfach die Freiheit geben, dass wir auch normal kaufen können, normal laufen können. Oder wenn wir nicht wissen, wir wollen dahin weiter, dass die uns den Weg gezeigt haben.
Eine Nachbarin, die Hassan kennt, hat uns im Garten gesehen und seinen Namen gerufen. Er lächelt und steht auf, um zu ihr zu gehen. Mit Rettich in der Hand, den er von der Nachbarin bekommen hat, kommt er wieder zurück an den Gartentisch.
I: Was würdest du jemandem aufgrund deiner Erfahrungen raten, der selbst auf die Flucht gehen will? Du meintest vorhin, du würdest komplett davon abraten, oder?
H: Das würde ich komplett abraten. Ich würde sagen, wenn du mittags etwas zum Essen hast und nachts nicht, würde ich dir auch sagen: „Bleib daheim, wirst du hoffentlich morgen was finden zum Essen.“ Ich meine persönlich, die Menschen werden sauer und werden böse, wenn ihnen andere Menschen Böses tun. Dann werden die selbst böse. Und ich werde niemanden in solch eine Strecke einfach kommen lassen, sodass der selbst am Ende eine schlechte Erfahrung hat und sagt: „Mir hat niemand geholfen, werde ich niemandem helfen, fertig.“ Und das sagt man, wenn der einfach selbst richtig hart verletzt ist, ja. Es ist für mich ganz normal, aber die Menschen, die zum Beispiel als zwei Brüder gekommen sind und einer ist umgebracht worden und einer ist da jetzt. Was denkt der das ganze Leben?
I: Das kann man sich gar nicht vorstellen.
H: Das kann man sich gar nicht vorstellen. Was denkt der das ganze Leben? Und mindestens das Land, das ihn [den Bruder] umgebracht hat oder mindestens der Schleuser, der mit ihm ausgemacht hat. Wir sehen doch, wie viele Menschen in Griechenland und Türkei an der Grenze im Wasser umgebracht worden sind oder im Wasser gestorben. Es ist, weil einfach die Menschen alles zugemacht haben. Es ist klar, jeder soll in seinem eigenen Land bleiben. Und was ist, wenn der da nicht zufrieden ist, da nicht leben kann? Wir sind doch alle Menschen, wir sollen doch uns alle helfen. Es geht nicht um Sterben, es stirbt jeder eines Tages. Es ist die einzige Sache, die gerecht ist. Es stirbt jeder eines Tages. Bei uns gibt es ein Sprichwort. Sagt einmal ein Chef, soll ich sagen, ein Meister hat zur Erde gesagt: „Du gehörst mir.“ Und mitten in der Nacht, Erde kam in seinen Traum und sagt: „Vor Milliarden Jahren, wie du sind Milliarden Menschen gekommen, die immer gesagt haben, du gehörst mir, aber nach paar Jahren, die haben mir gehört.“ Und so sage ich auch persönlich, so sind die Menschen nun mal, dass die so die Sachen trennen, das ist deins und das ist meins. Wenn die wissen, dass da Unfrieden ist, sollen sie ihr Bestes geben, da einfach die Möglichkeit zu stellen, dass jeder so leben kann, wie er will. Und soll ich so sagen, wenn jetzt die asiatische Welt so ist wie europäische und europäische Welt wie asiatische, was werden die tun? Dann werden die auch alle da abhauen. Weil wir Menschen so einfach gebaut sind. Wir sind wie Wasser. Wir strömen die gleiche Strecke. Wenn wir wissen, da es gibt die Möglichkeit besser zu leben, hauen wir da ab. Wenn wir das wissen und nicht machen können, weil es Risiko ist… Und das hat jeder erfahren. Ich meine, Deutschland hat selbst auch zweiten Weltkrieg gehabt. Wie viele Menschen sind umgewandert da? Es ist so, wenn ein Mann Krieg hat und Probleme hat… Jeder verlässt sein Land nicht einfach so aus Spaß. Ich komme nicht hierher, um alleine zu leben. Wenn ich, soll ich sagen, wenn ich im Bett krank liege, es gibt niemanden, der fragt, ob ich gesund bin oder nicht. Wenn ich daheim bin und es auch gar keine Möglichkeit gibt, dann würde meine Mama ein Tuch nass machen und auf meinen Kopf legen. „Da, du wirst besser.“ Obwohl es da [in Deutschland] die Möglichkeit gibt, Krankenhaus, alles, ne. Ich meine nicht, dass es die Möglichkeit gibt nicht. Es gibt alles, ne. Aber ich meine die Gefühle. Wie einsam man sich fühlt immer. Das will niemand. Aber es kommt die Zeit, dass du es einfach sagst: „Ist egal jetzt, muss ich von hier abhauen, fertig.“ Und so ist einfach.
I: Wusstest du denn von irgendwelchen Hilfsorganisationen? Oder von Nothilfenummern?
H: Nothilfe wusste ich nicht, aber wir sagen ‚Rotes Kreuz‘. Da hatten wir am meisten Vertrauen gehabt. Ja, dass wenn was schiefläuft, dann müssen wir einfach das finden. Sonst von den anderen Menschen, Polizei, Soldaten, egal wo, in welchem Land, gab es nichts. Menschlichkeit hat komplett gefehlt. Auf dem Weg, die waren die einzigen, die [Pause] Die Menschen, die sich verletzt hatten – weil da wirst du auch verletzt, Füße kaputt, ne. Und die [Personen auf der Flucht] werden auch nicht zurückgehen, weil die schon den halben Weg gelaufen sind. Und da hatten die [vom Roten Kreuz] auch den Menschen geholfen. Die hatten schon dabei die Sachen und haben die auch manchen Menschen mitgegeben. Wenn mal wo was passiert ist, konnten wir die benutzen. Die sind einfach… Die waren gut. Die haben einfach den Menschen geholfen. Weil die gemerkt haben, dass die Schwierigkeiten haben. Und wenn man selbst merkt, dass Menschen Schwierigkeiten haben, dann wird jeder Mensch sein Bestes geben, um denen zu helfen. Aber ich meine die Menschen, die nicht anderen Menschen helfen, die sind einfach – ich sage jetzt nicht was Böses – sind einfach keine Menschen. Fertig, wenn… Ist doch eh egal, jeder stirbt in 50, 30 Jahren, die Menschen werden ja 70, 80, ne. Wenn ich sage jetzt, ich will mein Land behalten, so wie es ist, und ich hab auch die volle Macht. Das kann ich auch nicht. Weil es kommt der Tag, dass ich das Land verlassen will. Dann… Jeder muss so denken, dass die Menschen, die ihr Land verlieren, die haben doch die Probleme. Wenn die Probleme nicht da wären, würden die nicht weggehen. Jetzt bin ich selbstständig, soll ich sagen. Es ist richtig, richtig unangenehm, wenn dir einer sagt, du lebst von Geld von sozial. Ich sage zu dem Menschen ganz normal – es geht doch den nichts an: „Geh weg“, fertig. Wer mir hilft, wer nicht, ist doch nicht dein Problem. Was wäre dann los einfach, wenn die Menschen nicht einem anderen Menschen helfen. Es gibt nie ein Land, das seine eigenen Probleme, alles alleine machen kann. Und es gibt nie einen Menschen, der sagt: „Ich brauche dich nicht.“ Weil es ist menschlich, dass die Menschen die anderen Menschen brauchen immer. Und die, die sagen: „Die anderen Menschen ich nicht brauche“, die werden auch niemals anderen Menschen helfen. Aber es kommt der Tag, dass die selbst denken: „Was ich gemacht habe, ist falsch.“ Aber dann ist es zu spät. Dann haben die ein falsches Beispiel vorgestellt. Und so sollen sie sich verbessern ein bisschen. Aber wir waren bei der Frage, wer uns geholfen hat. Die… Auf Deutsch sagen sie ‚Rotes Kreuz‘ oder so. Die helfen den Menschen schon und die wissen auch, wo die Menschen rauskommen und sowas. Sonst stehen die meistens mit Auto und so und dann… Die Schleuser, die wissen das auch schon, dann sagen die, was wer braucht, Pflaster und so, alle Sachen könnt ihr da einfach kostenlos nehmen. Und die haben uns immer was gegeben. Aber im Wald, egal was passiert, wird niemand angerufen: kein Rotes Kreuz, keine Polizei. Das wirst du von Schleuser, bevor du losfährst aus Türkei, wirst du erzählt bekommen, weil da ist dann eine rote Linie, fertig. Du kannst nicht weiterlaufen, du kannst nicht stehen bleiben, du darfst niemanden anrufen. Es ist Ende. Die sagen: „Wenn du jetzt anrufst, einer kommt, Polizei oder Rotes Kreuz, die kommen mit Polizei dabei. Dann sind die 80 oder 50 oder 40 Leute wieder im Gefängnis. Dann die drei Tage sind wieder einfach rumgemacht. Dann verliert ihr wieder alles und dann verdienen wir auch nicht.“ Und deswegen die sagen auch, wer laufen kann, der kommt mit, wer nicht, sollte dableiben. Aber es ist so, meistens sagen alle: „Wir laufen können.“ Aber wenn du paar Stunden läufst – zehn, fünfzehn Stunden hast du die Kraft. Aber wenn du zu müde bist und schläfst und morgen wieder aufstehst und laufen musst, dann bist du total kaputt. Weil danach hast du die Möglichkeit, die bequeme nicht, dass du dich wieder beruhigen kannst. Du schläfst irgendwo auf einem Stein oder neben einem Baum irgendwo. Und wie willst du die Energie wieder holen, die du abgegeben hast, den ganzen Tag gebraucht hast. Und deswegen dann am Ende sagen manche Menschen: „Wir können nicht weiterlaufen. Füße funktionieren nicht weiter einfach.“ Und dann werden die einfach dagelassen. Die [Schleuser] sagen: „Wenn wir einen Tag weg sind, dann könnt ihr die Polizei oder jemanden anrufen. Also wenn wir halben Tag von hier weg sind, dann könnt ihr einen anrufen.“ Aber wenn die dableiben, dann wird der Weg von den Menschen, die weitergelaufen sind, doppelt so weit. Dann müssen die komplett den Weg umkrempeln. Nicht dass einer da kommt und dann einen halben Tag aufholt und die dann findet, weil die meistens mit Auto unterwegs sind. Dann gehen die einen komplett anderen Weg und das dauert wieder zwei, drei, vier Tage. Ja, es ist… [Pause] Aber die [vom Roten Kreuz] haben den Menschen geholfen. Und ich finde auch, dass die geben, dass die helfen, dass die den Menschen helfen.
I: War Deutschland von Anfang an das Ziel? Oder hat sich das ergeben?
H: Es hat sich ergeben. Es war am Ende nach Deutschland. Äh das Ziel, es war am Anfang, dass wir egal irgendwie äh in ein europäisches Land gehen, um so ein besseres Leben zu haben. Dann gab es da in Deutschland meine Kumpel, paar, die ich kenne, hab mit denen geredet, telefoniert. Dann haben die gesagt: „Ja, Deutschland ist gut, hat gutes Gesundheitssystem, hat viel Arbeit, kriegst du schnell Möglichkeit, was zu lernen, Schulen gibt es viele.“ Und die haben gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten: zu arbeiten oder zur Schule gehen. Und ich war noch jung, ich denke, ich war damals 19, ich bin gerade 19 geworden da und dann war mir auch klar, ja, ich mach meine Schule weiter. Und dann… Deswegen dann… Ich denke, ich war in Österreich, als ich mir vorgestellt hab, dass ich jetzt in Deutschland bin. Ich will jetzt nach Deutschland und bleibe dann auch dort und lebe dort. Und dann ist es so gelaufen und dann war ich hier in Deutschland. Und freue mich auch, dass ich in Deutschland bin.
I: Welche Registrierungsverfahren und Aufnahmestellen gab es dann in Deutschland?
H: Äh, die haben uns untersuchen lassen als erstes. Dann haben die alle Fingerdrücke genommen und haben Augentest mit uns gemacht und die Sicherheit äh… Als ich damals gefragt habe, der Übersetzer hat erzählt, ob ich irgendwo was getan habe in europäischen Ländern oder nicht. Und nach dem dann hatten wir nochmal Fingerdrücke gelassen, alle bis zum Asylantrag.
I: Und welche Technik wurde in den Aufnahmestationen verwendet?
H: Ja, in den Stationen ist klar, dass die alle Computer dabeihaben und so, Diagnose alles dabeihaben, haben die Augentest gemacht, haben die Fingerdrücke alles genommen – hatten die eine kleine Maschine, mit der man Fingerdrücke macht. Ja, die Technik, alles war dabei. Die haben Bilder gemacht. Security hatten die auch dabei. Oder hatten die auch alle Auto dabei. Die haben auch der Polizei geholfen, dass die alles leichter und sauber machen können. Oder beim Warten hast du jedes Mal Nummer gehabt, dann kommst du rein. Die haben Zettel gegeben, da siehst du Zettel, wenn da steht, dann kommst du rein.
I: Hast du noch Bilder von deiner Flucht?
H: Von meiner Flucht hab ich keine Bilder. Es war die Situation, dass… Es ist so, du machst Bilder, wenn du weißt, dass du in Zukunft, die anschauen kannst. Und wenn du in so einer Situation bist, dass du nicht weißt, was morgen oder was heute Abend wird passieren, da hast du gar keine Lust, Bilder zu machen. Und bei mancher Stelle haben wir Bilder und Foto gemacht und so. Von Heim aus, unseren Weg, alles mitgenommen. Wenn du von Nangarhar nach Kabul fährst, ist alles Berge und die Straße durch die Berge sieht ganz perfekt von Natur gut aus. Hatten wir alles auf Video gemacht, alles mitgenommen. Aber das Handy, das die in Iran von mir genommen haben, da war alles dabei. Es war schon weg. Und nochmal, wo ich manche… wo ich Video oder Bilder gemacht habe… Sogar hatte ich von einem Menschen, der gestorben ist, Foto gemacht. Und als ich mein Handy in Bulgaria abgeben musste, dann hatte ich wieder kein Handy dabei. Und dann war ich auch nicht sicher, ob ich das [nächste] Handy wieder bis Deutschland mithabe oder nicht. Aber das Handy, das habe ich noch, war Samsung Galaxy 3. Es liegt immer in meinem Schranklein, das Handy. Aber da hab ich nicht mehr Bilder gemacht. Wenn ich es dabeihabe, ist es gut. Und war auch keine Lust da, Bilder zu machen. Also die Lust war einfach nicht da.
I: Hast du das Handy noch, weil es noch funktioniert oder wegen der Bedeutung?
H: Nee, es hat eine große Bedeutung, weil mit dem hab ich die lange und die schwierige Strecke erfahren. Ich hab noch zwei Sachen von meiner Flucht: meinen Rucksack und ein Handy. Und wenn ich mal heimkehre, werde ich auch mit den zwei zurückgehen. Mit meinem Rucksack und mit meinem Handy.
I: Dann noch eine offene Frage: Gibt es noch etwas, das du gerne erzählen oder sagen würdest?
H: Was aber? Es gibt viel zu sagen, zu der Flucht, in der man kommt. Ich meine… Wenn du… Wenn man über die letzten acht Monate, die Erfahrung schreibt, schreibt man bestimmt drei Bücher. Und es wären so Bücher, dass es… Wenn es jeder Mensch liest, wird er es nie glauben, dass es 2021 gibt solche Menschen auch. Werden die es nicht glauben, da bin ich mir 100 % sicher. Es ist einfach nicht leicht. Wieder hin- und herzugehen und alles wieder zu wiederholen. Weil da wird man zu viel verletzt. Nun, weil es keine Menschlichkeit gibt da. Ich selbst hab niemandem oder niemals gesagt: „Gibst mir Geld oder Wasser.“ Ich hatte mein eigenes Geld dabei, hab alles gekauft und konnte ich weiterlaufen. Und ich werde auch nie in einem Land bleiben, das, wie zum Beispiel Iran oder Türkei oder Bulgaria sagt, dass das Land ihnen gehört. Ich werde doch da nicht bleiben. Ich sage es doch klar, dass ich werde hier nicht bleiben, ich gehe weiter. „Und wofür wirst du so sauer?“ Das wäre meine allgemeine Frage, dass wenn ich mit jedem reden kann oder die Frage stellen kann. Ich werde genau die Frage stellen: „Ich werde noch total rumlaufen und weitergehen. Warum habt ihr uns so viel geärgert? Warum sterben wegen euch so viele Menschen jeden Tag, jede Nacht?“ Wenn Deutschland oder Frankreich oder Belgien, wenn die was sagen, ist das klar verständlich, die sagen: „Die wollen alle zu uns kommen.“ Ja, die können was dagegen sagen. Es gibt Nazis, das kennen wir alle. Die sagen auch… In meiner Sicht die haben auch Recht. Wenn die auch nicht viel Recht haben, die können sagen: „Was macht ihr hier?“ Weil wir sind hier. Aber die Länder, in denen wir nicht bleiben wollen, wovon plappern die so viel? Warum ärgern die die Menschen einfach so viel? Die sollen einfach die Menschen lassen. Wenn die ihnen nicht helfen können, dann sollen die doch denen auch nicht noch viele Probleme machen. Es ist meine allgemeine Sache: Wenn du jemandem nicht helfen kannst, dann bau dem auch nicht viele Probleme einfach. Wenn du es weißt genau, dass der in so einer Situation ist, dass der sich mit seinem eigenen Leben durchkämpft und versucht irgendwas zu schaffen oder ein besseres Leben zu haben und da stellst du immer noch neue Probleme dazu. Es ist ärgerlich.
I: So wir sind dann auch durch mit den Fragen. Vielen Dank.
H: Bitte schön, gerne.
Wir sprechen noch kurz, ein Blick auf die Uhr sagt uns, dass Hassan sich auf den Weg machen muss. Seine Arbeit beginnt gleich. Ich bedanke mich nochmal bei ihm und wir verabschieden uns.
Hinweis: Das Interview wurde für den Lesefluss und zur besseren Verständlichkeit leicht modifiziert.
Zu Hassan:
Name: Hassan (Name geändert)
Alter: 23 Jahre
Geschlecht: männlich
Herkunft: Dschalalabad in Nangarhar (Afghanistan)
Status: Abschiebungsverbot (der Asylantrag wurde abgelehnt)
Wohnort: Baden-Württemberg, Deutschland
Sprache(n): Paschtu, Dari, Urdu, Farsi, Deutsch, Englisch
Zeitraum der Flucht: Ende 2014 bis 11.08.2015
Das Interview wurde am 21.06.2021 von F. B. geführt.